Trainingsleiter der Tanzcompagnie Gießen: Anthony „Tony“ Taylor
Trainingsleiter der Tanzcompagnie Gießen: Anthony „Tony“ Taylor

Anthony „Tony“ Taylor

Ein Leben als Tänzer, Choreograf, Koblenzer Ballettdirektor und nun Trainingsleiter bei der Tanzcompagnie Gießen

Gießen, 17/09/2012

Seit der vergangenen Spielzeit ist Anthony Taylor Trainingsleiter bei der Tanzcompagnie Gießen (TCG), die für zeitgenössischen Tanz steht. Taylor ist zuständig für den Unterricht im klassischen Ballett. Er sei pedantisch als Lehrer, erzählt er, doch behalte er immer seinen Humor. „Nur wenn man auch lachen kann, ist das harte Training zu ertragen.“ Das weiß er gut aus seiner eigenen Zeit als Tänzer, die schon eine ganze Weile zurückliegt. Denn Tony, wie er von allen gerufen wird, ist schon in Rente. Was man dem strahlenden Gesicht des 1,86 m großen Blondschopfs nicht ansieht.

Er war 19 Jahre alt, als er nach Deutschland kam, an das Dortmunder Theater. Der 1944 in Wokingham/Berkshire Geborene war schon als Kind tanzbegeistert. Er begann als Jugendlicher an der Rambert School of Ballet zu trainieren und hatte mit deren Ensemble viele Auftritte, auch im britischen Fernsehen. Dortmund verließ er bald wieder, da er dort nur Opern und Operetten tanzen sollte. Er hatte sich in Bremen beworben, wo gerade ein neues Ballett gegründet wurde. Dort avancierte er zum Solotänzer. Danach feierte er in Kiel große Erfolge − als Tänzer und schließlich auch als Choreograf. Seine Choreografie für „Faustus Nostalgicus“ machte ihn überregional bekannt und brachte ihm 1982 die Einladung als Ballettchef nach Koblenz. Wo er eigentlich gar nicht hin wollte, dann nur kurz bleiben wollte und schließlich 28 Jahre blieb. So lang wie kein anderer Ballettchef an einem deutschen Theater.

Sein Team hat ihm im vergangenen Jahr eine grandiose Abschiedsgala bereitet, zu der ehemalige Kollegen aus der ganzen Welt anreisten. Allein in der Koblenzer Zeit hat er über 100 Choreografien geschaffen, vom traditionellen Repertoire über neue Musik bis zu Rock-Ballettstücken. Ganz abgesehen von seinen Choreografien für Oper und Operette, seinen Kooperationen mit dem Schauspiel und seinem Einsatz für das Jugend-Musical-Theater. Er sorgte für Gastspiele des Koblenzer Balletts, unter anderem waren sie beim Austauschfestival TanzArt ostwest ab 2006 in Gießen dabei.

Um nicht völlig ins Rentner-Nichtstun zu fallen, hat er vorgesorgt. Er kümmert sich in Koblenz weiter um das Jugendtheater, nahm einen Trainingsvertrag in London an und folgte den Einladungen ehemaliger Kollegen zum mehrwöchigen Unterrichten nach Australien (Sydney) und für eine Tanzwettbewerbsjury nach Italien (Bari). „Es ist großartig! Das konnte ich in all den Jahren als Ballettchef aus Zeitgründen nicht machen. Man lernt soviel von der Welt kennen dabei!“ Tony ist in seiner Begeisterung kaum zu bremsen.

Und was ist nun mit Gießen, warum ist er hier gelandet? Ganz einfach: durch seine Frau. Seit 1993 ist er mit der Schauspielerin Petra Soltau verheiratet, die zuvor in Koblenz ein Engagement hatte. Sie war nach Wilhelmshaven gegangen, wechselte jedoch bald mit dem Regie-Ehepaar Esser nach Gießen. Was praktisch für die beiden war, da Gießen näher an Koblenz liegt. Darum also kennt Tony Taylor Gießen schon lange. Und nun lebt er hier.
Dass er Trainingsleiter bei der TCG werden würde, hätte er nie gedacht. Der Gießener Ballettdirektor Tarek Assam suchte im vergangenen Jahr kurzfristig jemand und Tony nutzte die sich bietende Gelegenheit. Wie er es schon so oft in seinem Leben getan hat. Er liebt seine Arbeit, das Tanzen und das Arbeiten mit jungen Menschen. Auch in Gießen hat sich die Beziehung zwischen „Urgroßvater Tony Taylor“ und der jungen Kompanie gut entwickelt, schmunzelt er. Und er konnte seine langjährige Erfahrung als Choreograf einbringen: in der vergangenen Spielzeit bei „Cabaret“ und auch diese Saison bei der Operette.

„Choreografie für ein zeitgenössisches Requiem“ - eine hoch anspruchsvolle Arbeit entwickelte er im vergangenen Jahr mit der Tänzerin Magdalena Stoyanova, langjähriges TCG-Mitglied, anlässlich der langen Nacht der Kirchenmusik in Köln. Grundlage war das neu komponierte Requiem von Wilfried M. Danner „Les couleurs de l’arc-en-ciel“ (Die Farben des Regenbogens). Das „Stück für Orgel, Tanz, Licht-Design, Tonband und Live-Elektronik“ setzt auf Synergien. Kürzlich war es in der ersten Gießener Nacht der Kirchenmusik in einer gekürzten Version zu erleben.

Die Komposition ist ein akustisch verschmelzendes Zusammenspiel von Orgel (Christian Collum) und elektronischen Klänge (Hartmut Sassenhausen). Da Töne für Danner in Korrelation zu Farben stehen, gibt er Empfehlungen in der Partitur: auf einer mystischen Ebene erstrahlt geheimnisvolles Blau und Rotviolett (im Altarbereich), im realen Bereich ist es eine unbarmherzig kalte Direktbestrahlung von vorn (vom Kirchenportal). Die Tänzerin steht permanent im Dialog mit den mal bedrohlich wabernden, mal dynamisch aufpeitschenden und dann wieder beruhigenden Klängen. Immer wieder blickt sie zur Orgelempore, ihr Gesicht drückt Empfindungen aus, noch bevor der Körper davon bewegt wird. Mal ist es ein behutsames Vortasten, dann wieder ein gestenreiches Abwehren. Ein Stuhl wird zum Symbol der Last im menschlichen Leben, die jeder Einzelne bewältigen muss. Ein weißes Tuch dient zum Verhüllen und Entdecken, macht die Tänzerin zur eleganten Diva und frommen Gläubigen. Die gut halbstündige Präsenz direkt vor Publikum kann nur eine erfahrene Tänzerin wie Magdalena Stoyanova in dieser Intensität durchhalten. Großartige Einzelleistungen, die zu einem beeindruckenden Gesamtkunstwerk verschmelzen.

 

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