Goecke geht nach Basel
Marco Goecke folgt dort planmäßig auf Adolphe Binder
Angelin Preljocajs „Roméo & Juliette“ am Theater Basel
Eine unsterbliche Geschichte: Zwei Jugendliche aus verfeindeten Familien, die sich lieben und sterben müssen. Shakespeares „Romeo und Julia“ hat längst auch die Ballettbühnen erobert. Neuere Fassungen stützen sich meist auf die Originalmusik von Sergej Prokofjew. Sein „Romeo und Julia“-Ballett wurde 1940 im damaligen Leningrad uraufgeführt, in der Choreografie von Leonid Lawrowski, mit Konstantin Sergejew und Galina Ulanowa in den Titelrollen. Ein Markstein im Westen wurde 1962 die Fassung von John Cranko für das Stuttgarter Ballett, in der Ray Barra den Romeo, die frisch entdeckte Marcia Haydée die Julia tanzte.
Fast jeder Choreograf, der sich auf Handlungsballette versteht, hat seither eine eigene Version des Liebesdramas geschaffen. Am Theater Basel kreierte 2004 Richard Wherlock eine moderne Fassung für sein Ensemble. Jetzt folgt am gleichen Ort „Roméo & Juliette“ in der Choreografie von Angelin Preljocaj. Der Albanien-Franzose hatte sie schon 1990 mit dem Ballett der Opéra Lyon einstudiert und die Fassung ein paar Jahre später in seine eigene Kompanie in Aix-en-Provence übernommen. Die Basler Premiere vom 20. April 2012 war eine Schweizer Erstaufführung.
Préljocajs „Roméo & Juliette“ ist ein hartes, düsteres Ballett. Er hat die Handlung aus dem mittelalterlichen Verona in eine zeitlose Militärdiktatur versetzt, wo sich auch entwurzelte Immigranten eingenistet haben. Immer wieder kommt es zu Scharmützeln zwischen Miliz und Sans Papiers. Bis hin zum Mord: Roméos Freund Mercutio wird zu Tode geknüppelt, aber auch Roméo ersticht hinterrücks einen Mann, der Wache hält.
Trostlos auch der Schauplatz. Keine Paläste, kein Balkon über lauschigem Garten, wo sich Juliette und Roméo umarmen. Sondern ein hässliches Fabrik- oder Festungsareal, aus dessen Mauerlöchern die Flüchtlinge wie Ratten ins Freie dringen. Die ganze Handlung, auch die Markt- und Liebesszenen, spielen sich auf dieser Ebene ab. Es gibt nie schönes Tageslicht.
Eine Welt jenseits aller Romantik. Man könnte in Trübsinn verfallen, wenn da nicht die hervorragenden Tänzerinnen und Tänzer wären. Mélissa Ligurgo und Javier Rodríguez Cobos bilden ein Liebespaar, das sich bedingungslos in die Beziehung hineinstürzt. Der lumpig gekleidete Roméo ist voller Attacke, scheut kein physisches Risiko. Juliette wirft sich blindlings rückwärts in seine Arme. Ihre Auftritte gipfeln in drei atemberaubenden Pas de Deux.
Juliette im weißem Hemdchen hat die Beine auswärts gedreht wie eine typische Balletteuse - sie stammt schließlich aus dem vornehmen Hause Capulet. Ihre Bewegungen dagegen fallen aus dem klassischen Rahmen; sie trägt auch keine Ballettschuhe, sondern tanzt mit nackten Füßen auf Halbspitze.
Preljocaj sprudelt in seiner Choreografie vor Einfällen und ungewohnten Enchaînements. Julias sehr jung geratene zwei Ammen protzen regelmässig mit ihren Armmuskeln, um dann ruckartig auf feines akademisches Port de Bras umzustellen. Ein anderes Signal geht von ihrem rechten Fuss aus, der mitten im Getrippel immer wieder flach auf den Boden haut. Sol Bilbao Lucuix und Annabelle Peintre tanzen köstlich diese beiden Frauen, die wie Wappenfiguren je zur Hälfte weiß und schwarz gekleidet sind, mit vorgeschnalltem Riesenbusen.
Die Milizen der Militärdiktatur in ihrer Lederkluft demonstrieren einen imponierenden Mix von Ballett- und Stechschritten. Sergio Bustinduy gibt einen zackigen Tybalt, Roderick George einen aufmüpfigen, Volten schlagenden, von Tybalt zuletzt verächtlich umgebrachten Mercutio. Übrigens sind alle wichtigen Rollen doppelt einstudiert worden und, wie ein Probenbesuch zeigte, gleichwertig besetzt (mit Camille Aublé und Cédric Anselme-Mathieu in den Titelrollen, Diego Benito Gutierrez als Mercutio und Adrien Boissonnet als Tybalt).
Das Orchester unter David Garforth spielte Sergej Prokofiews Musik bei der Premiere vollklingend robust. Bei den Liebesszenen fällt auf, dass der Komponist sie teils so heftig angelegt hat, wie sie in Preljocajs Choreografie getanzt werden – also fast authentischer als in den meist viel zarteren traditionellen Versionen. Das Basler Publikum war begeistert.
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