Goecke geht nach Basel
Marco Goecke folgt dort planmäßig auf Adolphe Binder
Sidi Larbi Cherkaoui inszeniert „Satyagraha“ von Philip Glass am Theater Basel
Langsam gleiten die Töne ineinander, wiederholen sich, variieren leicht und lassen einen Klangteppich entstehen, der sich in sanften Wellen ausbreitet und irgendwie auch fortbewegt, obwohl jegliches Zeitgefühl aufhört zu existieren. Philip Glass, einer der wichtigsten Vertreter der Minimal Music, hat sich mit seiner zweiten Oper „Satyagraha“ (UA 1980) einem komplexen Thema zugewandt: Mohandas Karamchand Ghandis Zeit in Südafrika und der Entstehung des gewaltlosen Widerstands in der Idee „Kraft der Wahrheit“ (so eine ungefähre Übersetzung von „Satyagraha“). Das alles wird nun noch verknüpft mit Auszügen aus der „Bhagavad Gita“, einem der ältesten und zentralsten Texte des Hinduismus, in dem Gott Krishna mit dem Krieger Arjuna in ein Zwiegespräch tritt. Was auf den ersten Blick anmutet wie schwere verkopfte Kost, erweist sich in der Inszenierung von Sidi Larbi Cherkaoui als wunderbar leichte und doch tiefgründige Reise zu den Fundamenten menschlichen Handelns.
Realisiert als Koproduktion des Theater Basel, der Komischen Oper Berlin und der Vlaamse Opera Antwerpen, bringt Cherkaoui ein Gesamtkunstwerk auf die Bühne, das durch seine Vielschichtigkeit genauso fasziniert wie durch seine Klarheit. Gemeinsam lassen die zehn TänzerInnen der Kompanie Eastman, der Chor des Theater Basel, das Sinfonieorchester Basel und die acht SolistInnen einzelne Episoden aus Gandhis Leben heraufziehen, schaffen Begegnungen mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
So einfach und aussagekräftig wie die Bühne, ein schwarzer, zweiter Boden mit Seilen am Schnürboden befestigt, der sich sowohl als Schräge als auch als Plateau in die Höhe erheben kann (Henrik Ahr), sind auch die Kostüme (Jan-Jan Van Essche). Klare Farben und Formen geben jedem der einzelnen Personen eine eigene Identität, tauchen den Chor in ein weiches Dunkelblau, das ihn mal mit dem Hintergrund verschmelzen mal sichtbar hervortreten lässt. Überhaupt spielen die Farben in dieser visuell bis ins letzte Detail durchdachten Inszenierung eine nicht geringe Rolle (Licht Roland Edrich). Rotes Blut klebt an den Händen, wird verwischt durch weiße Kreide, bis sich am Ende ein bunter Weg aus hellen Farben abzeichnet, die den ProtagonistInnen aus den Händen rinnt, während sie gehen.
Soweit könnte dies noch eine ganz normale Operninszenierung sein. Doch nicht umsonst sitzt hier ein Choreograf am Schalthebel. Mit seinem untrüglichen Gespür für Raum, gestaltet Cherkaoui nicht nur die Bühne, sondern kreiert über sie hinaus durch Bewegung, Konstellationen und Verschiebungen immer wieder neue Räume, die ineinandergreifen und doch die verschiedenen Ebenen, die durch Text (aus der „Bhagavad Gita“), Szenen (aus Gandhis Leben) und Akte (Leo Tolstoi als Inspiration, Rabindranath Tagore als Zeitgenosse und Martin Luther King jr. als Zukunft) vorgegeben sind, miteinander verschränken. Und genauso wie Text und Szenen ineinander spielen, fließen auch Musik und Bewegung unaufhörlich von einem zum anderen. Nicht nur dann, wenn sich die repetitive Grundstruktur von Glass’ Komposition mit ihren Minimalverschiebungen in Harmonik und Dynamik in den Tänzerkörpern widerspiegelt, sondern auch, wenn die SängerInnen einzelne Bewegungen der TänzerInnen aufnehmen und in Gesang überführen. Besonders Rolf Romei (Gandhi) fällt nicht nur durch seine weiche, detailliert modulierbare und ausdrucksstarke Stimme, sondern auch durch sein Bewegungsgespür auf. Ohne Scheu lässt er sich auf die TänzerInnen ein, wird getragen, auf den Kopf gestellt und wieder abgelegt, ohne dass sich seine sängerische Qualität auch nur minimal mindert.
Cherkaoui ist Tänzer und Choreograf genug, dass er seine Kompanie nicht zur Doppelung oder Illustration nutzt. Vielmehr geben die TänzerInnen der stark strukturorientierten Oper menschliche Energie und im wahrsten Sinne des Wortes einen Körper. Die zahlreichen orchestralen Stellen bieten sich an für eine eigenständige Choreografie. Und diesen vom Komponisten geschaffenen Raum nutzt Cherkaoui für eine sich stetig entwickelnde, durch den gesamten Körper fließende und technisch anspruchsvolle Bewegungssprache, ohne den Bezug zum Rest der Oper zu verlieren. Füllen die TänzerInnen zwar den ganzen Raum aus, ist der gesamte Körper im Einsatz, so dominieren doch die Arme, die sich immer wieder ineinander verschränken, umeinander kreisen, sich öffnen und schließen. Nicht nur werden hier Assoziationen zu indischen Mudras wachgerufen, auch eignen sich die Arm- und Handbewegungen hervorragend als Bindeglied zwischen TänzerInnen und SängerInnen.
Am Ende ist man berührt. Berührt vom zutiefst Menschlichen des Textes, der in der Körperlichkeit der TänzerInnen sein unabdingbares Pendant findet, will er das menschliche Dasein in seiner Gesamtheit erfassen. Bleibt nur zu hoffen, dass das halb leere Theater der Länge des Abends an einem Werktag geschuldet war. Die Inszenierung hätte ein volles Haus verdient.
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