Einmal um die Welt zum Glück nebenan
Mit „Cinderella“ erobert das Ballett des Theaters Plauen-Zwickau das Publikum im Sturm
Die Bühne im Zwickauer Gewandhaus ist leer. Das Licht ist mild. Im Hintergrund wird ein silbern changierender Vorhang leicht von der Luft bewegt. Dazu schmeicheln sich sanfte Klänge ein und dann das zärtliche, traumhafte Solo einer Tänzerin. Zum Abheben. Das geschieht auch, wenn nämlich Maki Taketa so leichtfüßig auf halber Spitze mit den weiten und weichen Schwingungen der elegant geführten Arme durch den Raum gleitet. In einer Projektion schwebt dann Mücke ein um dann ebenso mit der Traumtänzerin zu entschwinden. Mücke ist ein junger Mann, der lediglich den Namen eines unbeliebten Insekts trägt. Ansonsten, in dem Moment, wenn er leibhaftig die Szene betritt, erhält er die ungeteilte Sympathie des Publikums am Premierenabend des neuen Tanzstücks „Der Traum der Mücke“ von Torsten Händler mit der Musik von Steffan Claußner.
Sebastian Uske ist Mücke, ein Tänzer von jungenhafter, wenn nötig auch naiver Ausstrahlung, humorvoll und doch kräftig in der Charakterisierung dieses Träumers, der sich einfach nicht damit abfinden will, dass der Tag grau und die Welt ein System aus Schubladen, Anordnungen und Vorschriften ist. Und genau in einem solchen Schubladensysthem landet Mücke ziemlich unsanft wenn er aus seinem Traum vom Fliegen erwacht.
Stefan Morgenstern hat diese graue Wand auf die Zwickauer Drehbühne gestellt: unzählige Schubladen; werden sie geöffnet kommen Hände, Füße, Köpfe, halbe oder auch schon mal ganze Menschen zum Vorschein. Zu den einzelnen Gliedmaßen gehören Menschen, die sich eingerichtet haben in ihren Minisystemen einer Bürokratenwelt, deren Bilder in diesem surrealen Tanzstück immer wieder an Motive aus den Funktionswelten von Franz Kafka erinnern.
Choreografisch gibt das Anlässe zu grotesken Situationen: scheinbar körperlosen Händen etwa auf Schreibmaschinen oder in getanzter tragikomischer Brillanz Ekaterina und Elena Tumanova als siamesisches Zwillingspaar im zum Höchstmaß gesteigerter Ordnungs- und Beamtenmacht. Wenn sich die Bühne dreht sind wir in Mückes Heim, einer sonderbaren Welt aus Gerüststangen, die auch schon mal zur Klanginstallation werden können und in deren Zwischenräumen sich Wohnaccessoires in geheimen Anordnungen befinden. Mücke kennt sich aus, Mücke träumt sich ein, bis in den Männertraum auf hoch schwebendem WC, bei dem die Traumfrau vom Beginn dem Badewasser entsteigt. Für seinen humorvollen, unterhaltenden Tanzabend, der so wunderbar über den Untiefen einer scheinbar ganz gut geordneten Welt in den Traumvisionen des jungen Mannes namens Mücke schwebt, hat sich Torsten Händler Anregungen aus dem Film „Brazil“ aus dem Jahre 1985 von Terry Gillam geholt. Das surreale Werk, u.a. von George Orwell inspiriert, sollte ursprünglich in Anspielung auf dessen Hauptwerk „1984 ½“ heißen. Händler geht aber dann mit seiner bestens motivierten Kompanie ganz eigene Wege, erzählt ein modernes Märchen vom großen Glück des kleinen Mannes Mücke mit den unsichtbaren Flügeln, dem weder die Übermacht der Mutter noch Chefs, Anarchisten, Ärzte, graue Bürohengste oder Ordnungskräfte Flugangst machen können. Ausgang offen, die Welt nicht verändert, aber vielleicht Traumlust geweckt, dazu passt es, wenn gemäß der Devise „Tanzen hilft“ zum Schlussapplaus die ganze Kompanie im Tanzrausch abhebt und Sebastian Uske als Mücke noch ein paar tolldreiste Freudensprünge liefert.
Und dann hebt das Publikum ab, großer Jubel, viel Sympathie für die Tanzsparte, deren Akzente und Facetten für die Region der Theater in Plauen und Zwickau unverzichtbar geworden sind. 14 Tänzerinnen und Tänzer gehören der Kompanie unter der Leitung von Torsten Händler an, Ballettmeister ist Thomas Hartmann. „Der Traum der Mücke“ ist die Uraufführung dieser Saison auf den großen Bühnen. Es folgt im April „Scheherazade“ als Klassiker, dennoch in eigener Fassung mit Musik von Nikolai Rimski-Korsakow, Maurice Ravel und Alexander Borodin. Im Repertoire ist eine eigene Sicht auf Tschaikowskis Ballett „Der Nussknacker“ sowie die Neufassung des Erfolgsstückes „Kommen und Gehen“ aus Händlers Zeit in Chemnitz und das Agentenspektakel „Die Welt am Abgrund“. Zum Wagnerjahr, aber ohne Musik des Jubilars, gibt es das Tanzstück „Tristan / Isolde“ nach Motiven des Versromans „Tristan“ von Gottfried von Strassburg. Torsten Händler hat hier unter dem Motto „Vom Streben um der Liebe willen – vom Lieben um des Sterbens willen“ ein intensives Kammerspiel choreografiert. Offensichtlich ist es hier gelungen einerseits dem Publikum entgegen zu kommen und es zum anderen zu ermutigen auch auf bislang ungewohnten Wegen mitzugehen. Unübersehbar, auch wieder zur aktuellen Premiere, das Interesse junger Leute am Tanz.
Nächste Aufführungen: 24.01.; 20.02.; 03., 28.03.; 19.04., 01., 05.05.; 09.06.
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