„The Strindberg Project“ von Melanie Mederlind

„The Strindberg Project“ von Melanie Mederlind

Getanzte Heiterkeiten und Abgründe

Das Cullberg-Ballett präsentiert „The Strindberg Project“ in Hamburg

Das Stockholmer Cullberg Ballett – wohl die bedeutendste Kompagnie Skandinaviens für modernen Tanz – hat den 100. Todestag des Dramatikers August Strindberg 2012 zum Anlass genommen, sich intensiver mit ihm auseinanderzusetzen.

Hamburg, 25/01/2013

August Strindberg ist als Schriftsteller für Schweden ungefähr das, was Goethe, Schiller oder Lessing für Deutschland sind, nur auf einer moderneren Ebene. Jedes Kind in Schweden kennt diesen Dichter und liest seine Werke in der Schule, mehr oder weniger gern. Das Stockholmer Cullberg Ballett – wohl die bedeutendste Kompagnie Skandinaviens für modernen Tanz – hat den 100. Todestag des Dramatikers 2012 zum Anlass genommen, sich intensiver mit ihm auseinanderzusetzen und engagierte dafür die schwedische Regisseurin Melanie Mederlind sowie den amerikanischen Choreografen Tilman O’Donnell (der von 2003–2007 im Cullberg-Ballett und später bei der Forsythe Company tanzte). Entstanden sind zwei 50- und 45-minütige Schlaglichter auf den Charakter dieses Dichters, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten – mehr auf die Sprache bezogen bei Mederlind, mehr auf die psychischen Abgründe orientiert bei O’Donnell. Heiter bis melancholisch das eine, das Psychopathische in den Vordergrund stellend das andere.

Mederlind, die keine Choreografin, sondern Dramaturgin ist, nannte ihr Stück „Translations“ und erarbeitete die Choreographie in Zusammenarbeit mit den TänzerInnen. Sie stellt Strindbergs Faible für China in den Mittelpunkt, das er vor allem in seinen letzten Lebensjahren hegte und sogar Chinesisch lernen wollte. Und so beginnt das Stück mit chinesischen Wortfetzen, die aus dem Off in den noch erleuchteten Zuschauerraum gesprochen werden, bei offener Bühne und zu Musik aus Flöte und Qin, einer klassischen chinesischen Zither. Acht TänzerInnen in schlichten schwarzen Rock/Hose/Shirt-Kombinationen betreten die ebenfalls schwarz abgehängte und ausgelegte Bühne, sprechen einzelne Worte auf Deutsch, Englisch, Chinesisch, Holländisch, jedem Wort wird eine Geste zugeordnet. In den folgenden 50 Minuten geht es immer wieder um Wortfetzen und ihre Übersetzung – nicht nur sprachlich, sondern auch tänzerisch, spielerisch. Mederlind lässt die Tänzer mit echten Mandarinen jonglieren, baut den Musiktitel „El Mandarin“ (von Julian Molina) mit ein und spielt so augenzwinkernd auf das Hochchinesisch – Mandarin – an. Sie bringt Motive aus der Peking-Oper mit ihren propagandistischen Posen – zu Vivaldis Konzert für 2 Violinen. Und sie streut musikalisch wie tänzerisch lateinamerikanische Rhythmen ein, vor allem einen Cha-Cha-Cha – in seiner zündenden Dynamik eindeutig der Höhepunkt des Stücks. Mederlind lässt dem Zuschauer hier viel Raum für eigene Assoziationen, sie engt Strindberg nicht ein, und sie reduziert ihn auch nicht (wie später O’Donnell) auf seine Allüren. Sie zeichnet vielmehr das Portrait eines schwierigen Menschen, indem sie einen liebevollen Blick auf seinen oft schwer verständlichen Charakter und sein Seelenleben wirft. Vor allem aber lässt sie Respekt und Bewunderung für Strindbergs Kreativität ahnen – vielleicht ist das auch ihrer schwedischen Erziehung geschuldet und ihrem Stolz auf diesen sicher bedeutendsten schwedischen Schriftsteller und Künstler. Und so mündet das ganze folgerichtig in einem Gedicht, das die Tänzer sprechen und mit Gesten untermalen, während „Schnee“ von der Decke rieselt. Die Choreografie zeichnet sich durch eine geschmeidige, bodennahe Bewegungssprache aus, die sich im Verlauf des Stücks aber doch etwas allzu häufig wiederholt und deshalb ermüdet – und so war die K6 der Kampnagelfabrik nach der Pause um ein Drittel leerer.

Bei O’Donnell dagegen ist Strindberg von vornherein ein Psychopath, ein Sonderling. Er charakterisiert das mit der Überschrift „August did noch have what is commonly considered good taste as far as furniture is concerned“ (August hatte, was Möbel betrifft, nicht das, was man gemeinhin unter gutem Geschmack versteht) und eine allseitig graue Bühne – graue Begrenzung, grauer Boden. Eher grau und eintönig auch die Musik mit jazzigen Anklängen (der Bamboo Flute Blues im Remix von Kid Koala). Fahl und kalt ist das Licht. Farbe bringt allenfalls die legere Alltagskleidung der sieben TänzerInnen, denen O’Donnell kuriose, entstellende Strindberg-Bärte verpasst, Männern und Frauen gleichermaßen. Sie alle sind Strindberg – in verschiedenen Ausprägungen – schrullig, cholerisch, schizophren und menschenfeindlich. Strindberg Nr. 1 hat ein dünnes Chinesen-Bärtchen und hockt vor sich hin stierend auf einem Stuhl. Strindberg Nr. 2 wälzt sich in einem samtigen Sack als gesichtsloses Monster über den Boden, bevor er sich aus dem Tuch schält und anfängt, Bücherstapel auf einem Tisch zu sortieren. Strindberg Nr. 3 ist eine bärtige Frau, die in zeitlupenhaften Bewegungen über die Bühne eumelt. Strindberg Nr. 4 ist ein Hund, der abwechselnd hechelt, winselt und bellt. Strindberg Nr. 5 ist ein Mann, der einen Pullover mit anderen Kleidungsstücken ausstopft und als Skulptur auf den Boden platziert. Und so gibt es noch einige Strindberg-Variationen mehr, die sich über die Bühne robben, rollen, schlängeln und verrenken, die sich vor Mikrophonen zusammenrotten und in diese ohrenbetäubend hineinschreien, ohne dem ganzen einen inneren Zusammenhang geben zu können.

Auch choreografisch ist dieses Stück von O’Donnell kein Meisterwerk und streckenweise einfach nur langweilig – zu sehr wiederholt er sich in seinen wenigen Bewegungsmustern, zu sehr erliegt er der Effekthascherei. Offenbar fanden das auch viele Zuschauer, denn noch während des Stücks verließen viele den Raum (in der K6 ist das immer deutlich zu hören – an den knarrenden Stufen der aus Eisenstangen gefügten Zuschauertribüne).

Eines jedes ist uneingeschränkt zu bewundern und zu loben: Die Leistung der Tänzerinnen und Tänzer. Sie zeigen hier Virtuosität in jeder Hinsicht, sie sind hochmusikalisch, auf den Punkt exakt, und sie hauchen dem ganzen überhaupt erst so richtig Leben ein. Und bewirken damit vor allem eines: Neugierde auf den Menschen August Strindberg. Und das ist das Beste an diesem Abend.

Noch bis 26.1. auf Kampnagel, Beginn 20 Uhr
 

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