Plädoyer gegen Rassismus im Tanz
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Ballettabend des Bayerischen Staatsballetts vereint US-Postmoderne und Zeitgenössischen Tanz
An modernen Abenden hat das Münchner Ballettpublikum eher weniger Interesse – so, laut Auslastungszahlen, die bisherige Erfahrung. Bei „Exits and Entrances“ (Abgänge und Zugänge), einem neuen Zweiteiler des Bayerischen Staatsballetts, jetzt im Prinzregententheater, gewann man einen anderen Eindruck. Das volle Haus feierte euphorisch die Uraufführung „Unitxt“ des Amerikaners Richard Siegal, Tänzer in William Forsythes Frankfurt Ballett von 1997-2004, seit zehn Jahren selbst erfolgreicher Choreograf. Und es gab einen lange anhaltenden Applaus nach „Biped“ des großen US-Postmodernen Merce Cunningham (1919-2009). Dies eine bemerkenswerte deutsche Erstaufführung, denn zum ersten Mal tanzt hier ein fremdes Ensemble das eigenwillig schöne Cunningham-Spätwerk von 1999.
Es ist – in seinen beiden Teilen – ein hochästhetischer, vom Staatsballett phänomenal gut getanzter Abend. In Cunninghams „Biped“, was wohl den „Zweifüßer“ Mensch meint, wandern über eine hintere und vordere Gazewand unentwegt: farbige Senkrecht- und Waagerecht-Streifen, jetten schemenhafte Animationsfiguren von Tänzern vorbei, die sich in tanzende Linien und Punkte auflösen. In diesem gleichsam schwebend mitbewegten magischen Raum (Shelley Eshkar/Paul Kaiser) wirkt das Staatsensemble in seinen metallisch-bunt schillernden Trikots wie eine Schar prachtvoller Paradiesvögel. Cunningham zeichnete in privaten Momenten gerne Vögel. Gut möglich, dass Kostümdesignerin Suzanne Gallo sich davon inspirieren ließ. Ebenso stilvoll, wenn auch in zeitgenössischer Reduziertheit, die nachtschattige Bühne, die körperengen, Bein-betonenden Kostüme in Richard Siegals Kreation „Unitxt“.
Es gibt einige Parallelen zwischen dem Cunningham und dem 45jährigen Siegal, der, ganz nebenbei, als angehender Tänzer auch eine Zeitlang bei dem Meister Unterricht genommen hat. Beide suchen nach neuen Bewegungsformen. Cunningham nutzte dafür Zufalls-Methoden wie Auswürfeln, in seinen späten Werken vor allem Computer-generierte Bewegungskombinationen. Siegal ließ sich für „Unitxt“ von dem bekannten Industrie-Designer Konstantin Grcic, ein gebürtiger Münchner übrigens, mit kräftigen Halte-Schlaufen versehene Damen-Korsetts entwerfen, so dass die Männer ihre Partnerinnen in ungewohnter Weise heranziehen, wegschleppen und herumwirbeln können. Wie unter dem Brennglas zu sehen in einem aufregenden Pas de trois von Léonard Engel und Dustin Klein mit der reaktionsflinken Katherina Markowskaja.
Sowohl Cunningham wie Siegal choregraphieren abstrakt. Und beide bestechen durch ungeheuer variiert ausgetüftelte Gruppierungen der Tänzer: Duette, Quartette, Quintette, von allen Richtungen hereinschreitende Reihen und Pulks, synchron gegeneinander gesetzt, sich ineinander verschiebend.
Bei beiden also ähnliche Qualitäten – und doch große Unterschiede. Cunningham hat die Neoklassik vernüchtert, aufgebrochen und neu, oft bizarr, zusammengemischt, zum Teil mit Vokabeln der Martha-Graham-Moderne. Daraus ergibt sich ein „nicht-fließender“ Stil, mit Sprüngen aus dem Stand, lange gehaltenen Posen und daraus wieder – äußerst knifflig – ein „relevé“ oder eine „tour en attitude“. Ein extrem schwierig zu tanzender Stil also, den vierzehn vorwiegend jüngere Staatsballetttänzer – gecoacht von Cunninghams ehemaligem Solisten und Ballettmeister Robert Swinston – zu dem poetisch-bildnerischen Körper-Kaleidoskop gestaltet haben, wie es der Meister beabsichtigt hatte.
Richard Siegals „Unitxt“ treibt die sportlich verschrägte Neoklassik seines Mentors William Forsythe zeitgenössisch verspielt und temporeich an die Grenze von Funk- und Breakbewegung. Und wenn Cunninghams „Biped“ zu Gavin Bryars elegischem Klangstrom – hier live gespielt von seinem Ensemble – als eine seelenheilende Tanz-Meditation empfunden wird (als „Zen-Choreografie“ braucht es seine langen 45 Minuten), dann ist Siegals „Unitxt“ zu Carsten Nicolais anpeitschendem Elektronik-Rhythmus eine großartig durchdynamisierte Neoklassik, in der sich die zwölf Staatsballett-Tänzer wie zuhause fühlten. Und das atemberaubend kraftvoll und präzise.
Ein wunderbarer „Nebeneffekt“ solcher qualitätvoll choreographierter moderner Stücke: hier haben auch junge Ensemblemitglieder – wie Mia Rudic, Claudia Ortiz Arraiza und Sophia Carolina Fernandes sehr schön in „Unitxt“ – , die in den klassischen Balletten ausschließlich im Corps-Hintergrund schmoren, die Chance, ihr Können zu zeigen. Und sich so auch weiter entwickeln können.
diese Saison nochmals am 16. Juli, 19 Uhr 30
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