„Hemingways Party“ von Tarek Assam und David Williams. Tanz: Magdalena Stoyanova

„Hemingways Party“ von Tarek Assam und David Williams. Tanz: Magdalena Stoyanova

Neues Tanzstück von Tarek Assam und David Williams am Stadttheater Gießen

Uraufführung von „Hemingways Party“

„Hemingways Party“ ist ein Tanzstück zwischen den Kontinenten und vom Beginn der Moderne. Es ist der Versuch, sich der „schillernden Gestalt einer vergangenen Epoche“ mit tänzerischen Mitteln zu nähern.

Gießen, 18/02/2013

Und es ist wohl das erste Mal, dass der US-amerikanische Autor Ernest Hemingway in einem Tanzstück gewürdigt wird.

Tarek Assam, Ballettdirektor am Stadttheater Gießen, ist von der Idee schon länger bewegt. Einerseits strahle Hemingways Leben und Werk bis heute aus, anderseits ist vieles davon heutzutage verpönt: Großwildjagd und Hochseefischen, Stierkampf und Begeisterung für Kriege. Das mondäne Leben mit weltweiten Reisen, vier Ehefrauen und der Alkohol sind allerdings heute noch Thema in bestimmten Kreisen.

Die Uraufführung von „Hemingways Party“ im Stadttheater Gießen am Samstag Abend wurde mit Begeisterung aufgenommen. Selten war ein Tanzstück in Gießen so abwechslungsreich in Musikrichtungen und Tanzstilen. Bereits zum fünften Mal hat Tarek Assam den freien Choreografen David Williams (Ingolstadt) eingeladen, mit ihm gemeinsam eine Choreografie für die Tanzcompagnie Gießen (TCG) zu erarbeiten. Etwas, das in der Szene als unmöglich gilt, zwischen den beiden aber gut funktioniert.

Der begeisterte Applaus des Premierenpublikums honorierte auch die enorme tänzerische Leistung des jungen Ensembles, das sich seit Beginn dieser Spielzeit neu zusammensetzt. Für die sechs Tänzerinnen (Caitlin-Rae Crook, Lea Hladka, Yuki Kobayashi, Hsiao-Ting Liao, Mamiko Sakurai, Magdalena Stoyanova ) und sechs Tänzer (Marco Barbieri, Esteban Barias, Michael Bronczkowski, Keith Chin, Sven Krautwurst, Manuel Wahlen) ist es die dritte gemeinsame Produktion, nach dem höchst erfolgreichen „Dornröschen“ und „Hypnotic Poison“ im TiL.

Das aufregende Leben von Ernest Hemingway (1899-1961) hatte viele Stationen: in den USA (Illinois) geboren, Mittelamerika (Kuba) am Ende zur Wahlheimat gemacht, dazwischen mehrere Stationen in Europa (Paris, Spanien, Deutschland) und in Afrika (Kenia). Er war Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, Polizeireporter in Chicago, Auslandskorrespondent im Paris der Zwanziger Jahre und Kriegsberichterstatter (Spanischer Bürgerkrieg, Ruhrbesetzung). Er machte aus seinen Reisen und Erlebnissen erfolgreiche Romane und Kurzgeschichten, wurde für seinen schnörkellosen Schreibstil preisgekrönt, mehrere Bücher wurden verfilmt. Er war ein Getriebener, der hinter seiner machohaften Selbstinszenierung eine romantische, ja depressive Seite hatte. Er beendete sein Leben selbst.

Die Choreografen Assam/Williams haben einzelne Elemente aus Hemingways Leben herausgegriffen, die sie in relativer Chronologie aufeinander folgen lassen. Die szenischen Übergänge der Mottoparty sind fließend, das Umkleiden findet teils auf der Bühne statt. Im ersten Teil sind alle Tänzer konstant auf der Bühne, geben mal die kommentierende Gruppe für das Hauptgeschehen im Vordergrund oder tanzen alle gemeinsam, etwa zu französcher Akkordeonmusik oder zu afrikanischen Trommeln. Diese folkloristischen Elemente sorgen für die fröhlich-ausgelassenen Momente, sind aber nur dezent angedeutet wie beim Flamenco.

Bei den Kostümen (Gabriele Kortmann) dominiert schlichte weiße Kleidung (Jeans und Tanktop) in Anlehnung an die weißen Anzüge, in denen Hemingway sich oft fotografieren ließ. Beide Geschlechter sind in Kleidung, Haaren und Maske gleich behandelt, nur selten gibt es explizit weibliche oder männliche Rollen. Außer in den Liebesszenen, die außerordentlich intensiv, von zärtlich bis erotisch sein können. Alle schlüpfen mal in die Rolle von Hemingway.

Das sparsame Bühnenbild (Lukas Noll) zeigt vor allem den offenen schwarzen Bühnenraum in oft kärglicher Beleuchtung (Manfred Wende), dann wieder ein heruntergelassenes V-förmiges Element, das die Fensterfront einer Bar anzeigt. Darüber durchgängig eine Leuchtreklame mit Hemingway-Zitaten: Never confuse movement with action. All you do is sit down at a typewriter and bleed. In den ernsten Momenten erklingt das Geklapper der Schreibmaschinentastatur zu den Selbstzweifeln des Autors. Das Ringen um Wörter und Sätze ist immer wieder Thema.

Gewalt und Töten sind schon in der Afrika-Jagdszene dabei. Assam/Williams haben es gewagt Kriegsgeschehen darzustellen: Kampf und Verletzungen, Vergewaltigung und Entsetzen werden spürbar gemacht, atmosphärisch unterstützt durch kalte Lichtspots, die an die Zerrissenheit in Picassos Guernica-Gemälde erinnern, musikalisch geprägt durch den harten E-Gitarren-Sound von Dirty Three, der phasenweise an The End von The Doors erinnert.

An anderen Stellen gibt es Mehrdeutigkeiten. Die erfahrene Literaturratgeberin Gertrude Stein wechselt zur Liebenden, oder ist doch die erste Ehefrau gemeint? Die vier hübschen Frauen der Flamenco-Szene bewundern zunächst den Torrero, fertigen ihn letztlich mit einer Ohrfeige ab – wohl symbolisch für die vier Ehefrauen von Hemingway -, um dann zu Stieren in der Arena zu werden. Solche Szenen sind spielerisch und ironisch gehalten. Publikumslacher und Szenenapplaus erfolgen auch beim Boxkampf, der einem verzweifelt-komischen Ringkampf gleicht.

Am Ende steht der letzte Kampf Hemingways mit sich selbst, glänzend dargestellt von Magdalena Stoyanova, die damit an den inneren Verzweiflungsmonolog ihrer Lady Macbeth anknüpft. Die Basis des Schreibtischs gerät ins Wanken, hebt ab, rotiert, gerät in Schräglage - die innere Welt des Autors gerät aus den Fugen. Dazu erklingt der O-Ton einer Hemingway-Rede aus dem Off: Kauft mein neues Buch. Jedenfalls sollte man mal wieder eines lesen und nicht nur die Verfilmungen anschauen.

Nächste Vorstellungen: 21. Febuar, 8., 24. und 31. März
 

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