Ein lohnender Besuch
Pick bloggt über „Tausend Grüße“ am Theater Koblenz
Die Bühne im fahlen Licht. Zwei Lichtpunkte auf dem Boden, ihr Radius ist begrenzt, in dem sie sich bewegen, einander suchen, folgen und verlieren. Zwei Menschen, ein Mann, eine Frau, schwarz gekleidet, sehr einfach, sie aber mit Spitzenschuhen, kommen aus dem Dunkel des Raumes in das fahle Licht. Sie suchen einander, sie finden und verlieren sich, sie tasten einander nach. Wenn sie sich finden, halten sie sich für minimale Momente aneinander.
Dazu Musik, die zunächst der Stille Klang verleiht, dann aber sich aufbäumt in klagendem Gestus, immer aber klingt die Grundierung eines Chorals mit in Udo Zimmermanns „Dans la marche“, dem polnischen Komponisten Witold Lutosławski gewidmet, der 1994 verstorben ist. Zimmermanns Werk, im gleichen Jahr uraufgeführt in Dresden, ist wie oft, ein Text vorangestellt und in René Chars „Dans la marche“ ist die Rede von der Poesie als schweigende, verzweifelte Provokation.
Diese in Leipzig entstandene Choreografie von Uwe Scholz von 1998 zu Zimmermanns Musik gehört auf den ersten Blick nicht zu den typischen Arbeiten des Künstlers. Scholz als Meister der Reduktion, der Zurücknahme, der Andeutung.
Die Projektion eines Fotos auf die Rückwand der leeren Bühne, hoch, über den Tänzern, verortet diese „verzweifelte Poesie“ der Bewegung, denn sie zeigt den typischen Zaun eines Konzentrationslagers, bringt über das Bild den fernen Klang der Totenklage ins Gedächtnis, Auschwitz, Bergen-Belsen, Majdanek, Treblinka...
Christoph Böhm, der mit Roser Muñoz die Leipziger Uraufführung tanzte, hat dieses Werk jetzt in Koblenz einstudiert. Michael Jeske und Iskra Stoyanova haben die Größe, die Intensität dieser eher andeutenden als ausdeutenden Choreografie zu vermitteln.
Und dann der scheinbar andere Uwe Scholz. Eleonora Demichelis hat „Die 1000 Grüße“ mit der Koblenzer Kompanie einstudiert. Natürlich hat diese herrliche Choreografie von 1986 aus Zürich einen wunderbaren, heiteren Grundton. Dennoch sind die 13 Duette und Soli zu Gesangskompositionen von Robert Schumann auch von tiefer Innerlichkeit geprägt. So wie im zweiten Duett zum „Familiengemälde“ von „Des Lebens Doppelspiegel“ gesungen wird, so spiegeln sich in diesen getanzten Blitzlichtern menschliche Situationen, mögen sie von Heiterkeit oder auch von Vergänglichkeit geprägt sein, viele Facetten des Daseins.
Bestenfalls so gut in Sprache und Musik gesetzt wie nach Goethes „Singet nicht in Trauertönen“ aus „Wilhelm Meister“ und von Uwe Scholz so berührend verschmitzt in Tanz verwandelt. Als könne sie die Nacht nicht erwarten eilt die Solistin zur Schlusszeile dahin: „Jeder Tag hat seine Plage, / Und die Nacht hat ihre Lust.“
Wir sehen mit großer Lust eine Tänzerin wie Kaho Kishinami, die stellvertretend genannt sei für die wahrhaft gut disponierte Kompanie, denn, was so leicht und luftig erscheint bei Scholz, ist von hohen Ansprüchen. Da sind seine so typischen Hebungen, bei denen die Tänzerinnen wie im leichten Flug erscheinen, da sind die schönsten neoklassischen Varianten zusammengefasst, und da wechseln die Momente der Gefühlsaufwallung mit denen der trockenen Burleske. Und über allem, über allen von den 1000 Grüßen, scheint der Geist romantischer Ironie zu schweben, in dessen Licht es keine Katastrophe sein muss, wenn Rory Stead als Bettler an die Türen schleicht oder im schelmischen Finale Elena Lucas gut weiß, dass keinem Schein zu trauen ist, auf jeden Vogel eine Falle wartet, und sie daher den bittenden Arkadiusz Głębocki zumindest in dieser Nacht im Regen draußen stehen lassen muss.
Sascha Thomsen hat die ursprünglich von rosalie für Uwe Scholz entworfenen Kostüme behutsam etwas gegenwärtiger gemacht und trägt damit der Tatsache Rechnung, dass sich ja auch die Typen der Tänzerinnen und Tänzer in fast 30 Jahren gewandelt haben. Gänzlich neu sind seine Kostüme für die Uraufführung des Abends zur zweiten Suite für zwei Klaviere von Sergej Rachmaninov von Steffen Fuchs. Fuchs, seit 2011 Ballettchef in Koblenz, ausgebildet an der Staatlichen Ballettschule in Berlin, selbst Solist in Leipzig bei Uwe Scholz, ist hier wirklich eine Hommage gelungen. So wie die von Thomsen entworfenen Ganzkörpertrikots, die Originale waren 1987 in Zürich von Martin Rupprecht, gut dem Geist von Uwe Scholz entsprechen, auf dessen Choreografie des Werkes sich die Arbeit von Steffen Fuchs bezieht, so bringen die neuen heiteren Andeutungen von Tastaturen eine heitere Stimmung. Was die Tänzerinnen schwarz auf weiß tragen, das haben die Tänzer weiß auf schwarz am Körper.
Auf wesentliche Momente des Originals der Choreografie müssen wir nicht verzichten, so immer wieder die Zitate der so typischen Dreierkonstellationen, zwei Männer eine Frau, oder auch in Duetten und solistischen Passagen. Dennoch liefert Fuchs keine Kopien, er schöpft in freier Verehrung aus seinen Erfahrungen. Aber, und das macht dieses Finale so glücklich, er bleibt bei den Erinnerungen nicht stehen, er geht da, wo man sich mitunter wünschte, eine heitere Brechung sei angebracht, diese auch ein. Er stellt die Strenge der Formen der Gelöstheit kunstvoller Leichtigkeit gegenüber. Und siehe, das eine scheint zum anderen zu gehören.
Für den Zuschauer ein großes Vergnügen, für die Tänzerinnen und Tänzer eine Herausforderung, sie stellen sich und stehen am Ende allesamt glänzend da vor dem jubelnden Publikum. Gustav Mahler wird die Aussage zugeschrieben, dass nicht die Anbetung der Asche Tradition sei, sondern das Weitergeben der Glut.
Damit wäre gut beschrieben, was an diesem Abend mit dem Ballett des Theaters Koblenz in dieser höchst lebendigen Hommage für Uwe Scholz, der vor zehn Jahren im Alter von nur 45 Jahren starb, gelungen ist.
Damit wäre auch das Anliegen der Kulturstiftung des Bundes und ihres großzügigen Programms „Tanzfonds Erbe“, ohne das diese Produktion nicht möglich gewesen wäre, bestens gerechtfertigt.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments