HipHop at its finest
Bruno Beltrao mit seiner neuen Kreation „INOAH“ beim Theater der Welt in der Hamburger Kampnagelfabrik
Tanzextreme von Bruno Beltrao und Rahouane el Meddeb bei Theater der Welt
Bruno Beltrao hat seine Sache von der Pike auf gelernt – nämlich auf der Straße. Brasiliens Star-Choreograf reiste als Jugendlicher in den Vororten von Rio de Janeiro von HipHop-Battle zu Battle, bevor er den urbanen Streetdance salonfähig, sprich theaterbühnentauglich machte. Sein jüngstes Stück „CRACKz“ (2013), für das er seine international besetzte Company „Grupo de Rua“ auf zwölf Tänzer plus ein weibliches Maskottchen aufstockte, reist seitdem von Festival zu Festival – ohne im Geringsten an Attraktivität einzubüßen. Auch in Mannheim wussten die Zuschauer, wie man am Ende mit dem entsprechenden Beifall noch jede Menge solistische tänzerische Bonbons hervorlockt.
Zuvor hatte Bruno Beltrao einmal mehr gezeigt, wie man das Bewegungsvokabular der Straße analysieren, dekonstruieren und nach allen Regeln der choreografischen Zunft wieder neu zusammensetzen kann. Für die Feldforschung im 21. Jahrhundert schickte er seine Tänzer allerdings nicht mehr zu den einschlägigen, realen Contests, sondern ins Internet. Ein ganzes Jahr Vorbereitung hat sich die Gruppe gegeben, um 25 im Netz gefundene Bewegungsfolgen dem eigenen Körpern einzuschreiben. Bruno Beltrao hat daraus ein Stück gemacht, das in den Hinterhöfen einer virtuellen nächtlichen Großstadtwelt spielt – überall und nirgends. So war die Bühne des Schauspielhauses bis zu den Wänden hin offen; aus seitlichen Rückzugsorten entwickelten die Tänzer eine rasante Performance zu den hypnotisierenden Klängen der experimentellen finnischen Elektro-Jazz-Formation „The Vladislav Delay Quartet“.
Unerhört schnell, dynamisch und akrobatisch kommt diese Mischung aus verschiedenen Streetdance Styles daher, mit hohen Sprüngen, schnellen Kicks, rasanten Drehungen und die Grenzen menschlicher Koordinationsfähigkeit ausweitendem Breakdance. Dabei entsteht der attraktive Coolness-Faktor einerseits aus der Lässigkeit, mit der die Tänzer zwischen unerhörtem Tempo und relaxter Präsenz wechseln, andererseits aus den unerwarteten Störungen und Brechungen, die das Bewegungsmaterial kennzeichnet. In der tänzerischen Popkultur sind gerade Linien und simple Körperachsen out – neben der Zerlegung des Körpers in Einzelteile, die sich quasi unabhängig voneinander bewegen könnten, ist es der gewillte Einbau von Schwierigkeiten, mit denen man den Gesetzen der Schwerkraft noch das eine andere spektakuläre Schnippchen schlagen kann. Besser als in „CRACKz" kann man die Globalisierung von Streetdance & Co nicht deutlich machen.
Ein absolutes Kontrastprogramm dazu war das Solo des tunesischen Choreografen Radhouane El Meddeb „Sous leurs pieds, le paradis“. Auf den ersten Blick ist der füllige Mann mit weichen, manchmal weiblich wirkenden Formen das Gegenmodell eines Tänzers; auf den zweiten und dritten Blick offenbaren sich seine darstellerischen Qualitäten, die er ganz in den Dienst einer dominierenden Stimme vom Band stellt. Die ägyptische Sängerin Oum Kalthoum, eine langjährige Legende in der arabischen Welt, betrauert in einem ihrer bekanntesten Werke die Trennung und den Verlust der Liebe. Mal minimalistisch-tastend, mal expressiv-drängend tritt der Solist in einen Dialog mit ihrer Stimme. Das war im besten Sinne des Wortes eigenartig, natürlich auch fremdartig und im Mittelteil für europäisches Tempogefühl auch ein bisschen langatmig.
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