Liebeslust, Liebeskampf
Stephan Thoss' „Blaubarts Geheimnis“ am Ballett Basel
„Die Liebe kann tanzen“ ist ein sehr anspruchsvolles Werk. Ein abendfüllendes Ballett, aufgeteilt in zwei Akte von je 50 Minuten. Doch das Stück hat keine Handlung, an die man sich halten kann, sondern bietet vorwiegend abstrakten Tanz. Trotzdem zeigte sich das Publikum bei der Uraufführung des Balletts Basel begeistert, und das zu Recht.
Die Choreografie stammt von Stephan Thoss, den musikalischen Patchwork-Teppich hat Timothy Henty ausgelegt. Beide Künstler haben bereits in der letzten Spielzeit für das Basler Ballett gearbeitet: Der Deutsche Thoss hat hier sein schon anderweitig gezeigtes Stück „Blaubarts Geheimnis“ einstudiert, der Brite Henty bei „Snow White“ von Ballettchef Richard Wherlock mitgewirkt.
Das knapp 30-köpfige Ensemble interpretiert „Die Liebe kann tanzen“ mit Volleinsatz und anhaltender Energie. Niemand verliert den Atem, niemand fällt ab. Es muss auch eine Lust sein, in Thoss‘ Ballett mitzuwirken, stellt der Choreograf doch die meisten Tänzerinnen und Tänzer mit eigenen Szenen ins Rampenlicht. Absolut im Vordergrund wirkt der großgewachsene Frank Fannar Peders, doch kommen auch Armando Braswell, Andrea Tortosa Vidal, Tana Rosás Suné, Debora Maiques Marín oder Emma Kate Tilson markant zum Zug.
„Die Liebe kann tanzen“ ist kein romantisches Ballett. Man kann sich nicht in Wohlgefühlen ausruhen. Die Pas de Deux sind voller Brüche. Im Programmheft werden 23 Szenen unterschieden, die so vielsagende Titel tragen wie „Duft der Einsamkeit“, „Gemeinsam auf Distanz“ oder „Stolzes Ende“. Die Grenzen zwischen den Szenen sind dabei fließend.
Durchgehend aber prägt sich Thoss‘ unglaublich vitaler, assoziationsreicher Tanzstil ein. Modern-zeitgenössisch, mit Ausdruckstanz gefüttert, diesmal ohne Anleihen beim klassischen Ballett. „Die Liebe kann tanzen“ bringt eine Vielfalt an Bewegungen, vom breitbeinigen Sich-Behaupten bis zum Schleifen und Gleiten auf dem Boden. Dazu Arme wie Tentakel, Hebungen wie im luftleeren Raum, sportlich gedehnte Körper, gelegentlich auch Ruhepausen.
Tausendsassa Thoss zeichnet nicht nur für die Choreografie, sondern auch für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich. Im ersten Teil herrscht lichte Atmosphäre. Rechteckige weiße Bilderrahmen schlingen sich ineinander vor schwarzer Rückwand. Die Tänzerinnen tragen kurze helle Kleidchen. Man fühlt sich in ein Jugendcamp versetzt, quasi im Vor-Liebeszeitalter, wo sich zwar erste Paare bilden, aber die Gefühlswelt noch nicht ausdifferenziert ist.
Der zweite Teil wirkt expressionistisch bis surreal. Symbolträchtige Requisiten – eine Krinoline, Schirme mit Neonlampen - werden hinein getragen. Dunkle Gestalten tauchen auf, Farbe schießt in die Kostüme, Fragmente einer Handlung zeichnen sich ab. Aggression oder Melancholie schleichen sich ins Tanzleben hinein. Bis sich am Schluss die Szene wieder aufhellt.
Der von Thoss angeregte, von Timothy Henty zusammengewobene Musikteppich besteht aus Stücken verschiedenster Komponisten, von Johann Sebastian Bach über Arvo Pärt bis zu den Youngstern Thomas Larcher oder Ezio Bosso. Ein für abstrakte Ballette unübliches „Chrüsimüsi“. Für Henty aber kein Problem, die Partitur hält gut zusammen. Im Programmheft bestätigt er, wie glücklich es ihn mache, die einzelnen Musikstücke organisch zu verbinden. Bach bildet dabei den Kern der Collage. Stücke von ihm eröffnen das Ballett und tauchen später immer wieder auf. Bach-Zitate kennzeichnen auch Pärts Musikbeiträge. Und schließlich endet das Ballett mit dem Ricercar zu sechs Stimmen aus Bachs Musikalischem Opfer, bearbeitet für Orchester von Anton Webern.
Henty steht selber am Dirigentenpult, setzt sich mit Hingabe für seine Partitur ein. Das Sinfonieorchester Basel spielt frisch und engagiert, ebenso die junge Pianistin Christina Bauer. So tanzt nicht nur die Liebe, sondern auch die Musik.
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