Emotionale Explosionen im traurigsten aller Tänze
Compagnia Naturalis Labor mit „Othello Tango“ von Luciano Padovani in Ludwigshafen
Der schwedische Choreograf Mats Ek hat eine internationale Bilderbuchkarriere hinter sich. Dennoch bleibt sein Name untrennbar mit dem schwedischen Cullberg-Ballett verbunden: Es ist nach seiner Mutter benannt, und sie war es auch, die dem Sohn die erste große choreografische Spielwiese eröffnete. Hier erarbeitete sich Mats Ek seinen Ruf als Bilderstürmer der klassische Ballette: „Giselle“ steckte er statt in die Geisterwelt der Willis in einer Zwangsjacke ins Irrenhaus; den Schwänen in „Schwanensee“ verweigerte er die Tutus und ließ sie per raffinierter Maske in Glatzköpfe verwandeln; bei seinem bislang letzten abendfüllenden Handlungsballett - „Dornröschen“ für das Hamburg Ballett - ließ er die Prinzessin statt von einer Spindel von einer Heroin-Nadel stechen. Siebzehn Jahre später präsentierte Mats Ek wieder einen der großen Ballett-Klassiker, Romeo und Julia, dieses Mal mit dem renommierten Royal Swedish Ballet.
Man durfte also von der Deutschlandpremiere seines neuen Stücks einiges erwarten, nur keine brave Shakespeare-Adaption. Was da über die Luwigshafener Pfalzbaubühne ging, war tatsächlich sehr eigenwillig – und wie immer von Mat Eks fulminanter Fähigkeit geprägt, klassisches Ballettvokabular und intensiven Ausdruckstanz kongenial zu mixen. Aber der Ballett-Revoluzzer ist mit Anfang 60 milde geworden: In „Julia und Romeo“ (man beachte die Umstellung des Titels) feierte er ganz unverblümt die Magie der ersten jungen Liebe, für die der Tod am Ende die Erfüllung eines endlosen Zusammenseins bietet. Um diese Geschichte zu erzählen, bediente sich der Choreograf nicht der üblichen Ballettmusik von Prokofjew, sondern verwendete als attraktive Klangkulisse eine Tschaikowsky-Auswahl (live dargeboten von der Staatsphilharmonie Rheinland Pfalz unter der Leitung von Alexander Polianichko).
Für seine Geschichte braucht Mats Ek kein Degenfechten, keinen Pater, keine heimliche Hochzeit, kein Gift und keine Gruft. Er lässt sie zwischen verfeindeten Straßengangs inmitten düsterer, beweglicher Wände in einem Vorstadt-Irgendwo spielen - mehr Northside-Story als Shakespeare. Unter dem Pflaster liegt die Liebe: Aus einem Geviert im Boden steigt Romeo zu Beginn herauf wie aus einer anderen Welt, und am Ende stürzen die im Tode vereinten Liebenden kopfüber in diese Öffnung, aus der nur noch die Beine als Mahnmal herausragen.
Mats Ek sind betörende Bilder der jungen Liebe zwischen Julia und Romeo gelungen – und in der Zeichnung der übrigen Handlungsträger stellt er unter Beweis, dass er seinen grimmigen Biss keineswegs verloren hat. So ist es in seiner Version des Stücks der Vater, der Julia mit dem Zwang zur Vernunftheirat direkt in den Tod schickt. Wie unbeugsam die Moralvorstellungen seiner Gesellschaftsklasse sind, zeigt der gespenstisch ritualisierte Ball in seinem Haus. Mercutio zeichnet er als melancholischen Skeptiker, seinen zynischen Mörder Tybald als Rocker im Nietenhemd, der auf sein Opfer ausgiebig uriniert. Aber es darf auch gelächelt und gelacht werden: Zutiefst menschlich, dabei herzhaft zupackend ist die Amme gezeichnet – da handelt sich Julia schon mal eine Ohrfeige ein – und der Auftritt auf Segways zieht sich als Running Gag durch die umjubelte Aufführung.
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