Eine Braut auf der Flucht
Eröffnung des Festivals „Tanztausch“ im Leipziger LOFFT
MichaelDouglas Kollektiv, das Tanzlabor Leipzig und Sylvana Seddig im LOFFT Leipzig
Diesmal ist es ganz wörtlich zu nehmen, das Thema des Festivals. So sieht „Tanztausch“ aus - ein Austausch, ein so bewegtes wie bewegendes Geben und Nehmen. Hier geben alle und hier bekommen alle mehr als sie geben konnten, und noch viel mehr bekommt das Publikum.
Genau eine Woche hatten sie Zeit, die Mitglieder des Tanzlabors aus Leipzig und die Tänzer Douglas Bateman und Michael Maurissens aus Köln, um das gemeinsame Stück zu erarbeiten. Das Tanzlabor in Leipzig bezeichnet sich als „mixed-abled Compagnie“, hat sich dem zeitgenössischen Tanz verschrieben, und führt bewegunsgbegeisterte Menschen mit unterschiedlichen, körperlichen Einschränkungen mit Tänzerinnen und Tänzern zusammen. Für das aktuelle Projekt trafen Frauen im Rollstuhl und eine junge Frau, die mit den Folgen eines Hirnschlages lebt, mit den Tänzern aus Köln zusammen, dazu ein junger Mann aus Leipzig, mit der puren, unverstellten Lust an Bewegung und körperlichem Ausdruck, was er in wunderbarer, unverstellter Direktheit einbringt. Überhaupt, die Direktheit, das Glück des Augenblicks, die Momente der Überraschungen sind von großer Kostbarkeit in dieser Arbeit.
Douglas Bateman und Michael Maurissens verleugnen in keinem Augenblick, dass ihre Körper trainiert sind, dass ihnen ein nicht alltägliches Bewegungsrepertoire zur Verfügung steht. Aber sie führen nichts vor. Sie folgen den Impulsen wie alle anderen Mitglieder dieser besonderen Kompanie. Und auch sie entdecken in der Korrespondenz mit den bewegten Leipzigern neue Möglichkeiten. Es gibt kleine Soli, es gibt gemeinsame Szenen und gerade dabei passieren bildkräftige Augenblickskonstellationen, die viel vom flüchtigen Glücksempfinden des Tanzes vermitteln.
Ganz anders Teil zwei dieses Tanztauschabends mit Sylvana Seddig aus Köln, „Neurosen und Altlasten: Psychotanz mit Ich, Mir und Mich“. Fulminant steigt die junge Choreografin mit ihrer ersten Kreation in den Ring und punktet kräftig. Frisch und frei nimmt sie in ihrem so komischen wie verblüffenden Genremix aus Tanz, Performance und Theater einige Sachen auf die Schippe, die man kurz und bündig als „Psychokram“ bezeichnen kann. Kennen wir ja, der Workshop in der Toscana, an der Atlantikküste, in abgeschiedener Bergwelt oder im Sand an der Ostseeküste, auch Inseln sind sehr beliebt. Im Angebot dann meditativer Tanz auf dem Weg zum eigenen Ich oder auch mal wieder zum Wir oder zu dem, was ganz oben über uns ist und auch noch tiefer in uns drinnen sich verbirgt. Eintauchen in die Aura der anderen, um das Ich besser zu erkennen und stark zu machen. Und wenn am Ende alle so sind wie ich, dann sind auch meine Probleme gelöst.
Alte Hüte, alte Filme - Klischees, vor allem wunderbarer Übermut zeichnen diese verdrehten Tänze vor und um alle vermeintlichen Ichs und Überichs aus.
Da ist die Schöne in ihrem wohlgeordneten Gesten- und Haltungsvorrat, das macht die Tänzerin Johanna Roggan zunächst mit den Unnahbarkeitshaltungen einer Filmdiva wunderbar. Am Ende wird sie sich in einer Unmenge von alten Filmstreifen verheddern, auf ihrer Suche nach dem effizientesten Weg zur Rettung der Welt. Ihrer Welt, versteht sich. Da ist der Sänger und Tongeber, nicht immer entschieden, ob er gerade Ober- oder Untertöne anstimmen soll, lang und schmal, mal mehr mal weniger missionarisch. Das Multitalent in Sachen Performance ohne Achtungszeichen, Jan Paul Werge und der so knackige wie sprungfidele Tim Gerhards, der schon mal die Mitte für sich beansprucht und seine reinigende Meditationsmethode mit viel Bier empfiehlt.
Keiner bleibt hier auf dem Teppich, dafür gibt es Rollrasen, schmale Streifen und es verblüfft, wie viele Menschen aus dem Publikum darauf Platz finden, wenn sie den Einladungen zu Wellness, Massage oder eben ganz einfach Bier nicht widerstehen können. So findet man das große Glück auf kleinstem Raum. Komm mit auf den Sprung, auf die schmalen grünen Reste der Mutter Natur. Spürst Du den Puls der Erde? Man spürt auf jeden Fall die unbändige Lust der Protagonisten bei dieser so schrägen wie absurden Komik im Kampf um die esoterische Vormacht.
Am Ende haben sie sich alle irgendwie verheddert, in den alten Filmen, in den Lichterketten, auf der Suche nach dem Ich und Mir und Mich oder danach, wo denn eigentlich wir alle sind oder hingelangen sollten. Sie sind erschöpft, die Welt haben sie mal wieder nicht gerettet. Das Publikum ist noch lange nicht erschöpft und hätte sicher noch etliche Runden, Aufstiege und Tiefflüge mit diesen Diktatoren der rasenden Selbsterlösungstanztheorien gedreht, aber immer, wenn es am schrägsten ist, kommt die Erlösung, anders als gewünscht, aber sie kommt. Johanna, Tim und Jan Paul werden erlöst durch die Gnade dieses Lehrstücks ohne Zeigefinger. Sie finden nach dem Willen von Sylvana Seddig ihre Plätze nicht auf, sondern unter dem kleinen Rasenstück. Und die kann ihnen keiner mehr nehmen.
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