Die Pflicht ist erfüllt, die Kür fehlt
„Coppélia“ von Pierre Lacotte und Arthur Saint-Léon als Wiederaufnahme beim Wiener Staatsballett
Weihnachten naht. Diese Saison kein Nurejewscher „Nussknacker“, dafür Frederick Ashtons „La Fille mal gardée“ in der Staatsoper, tanznetz.de berichtete, und im zweiten kleineren Haus, der Volksoper, die das Staatsballett auch bespielt, nun Michael Corders dreiaktige, nahezu dreistündige Produktion nach dem gleichnamigen H.C. Andersen-Märchen mit Musik von Sergej Prokofjew vor allem aus dessen Ballett „Die steinerne Blume“.
Kaum ist der Vorgang aufgegangen, könnte man versucht sein, sich die Augen zu reiben, wie’ s denn auch zum Märchen im besten Fall gehörte. Denn nachdem die Bösespiegel-Liebe der Titelfigur in ihrem kalten, glitzernden Reich vorgestellt wird, landet man sogleich in der idyllischen Landschaft mit Häuschen, wie es bekanntermaßen immer wieder der Fall in den Handlungsballetten des 19. Jahrhunderts war. Und schon findet ein lyrisches Zusammenspiel vom Mädchen Gerda und dem Waisenjungen Kay statt, das paradigmatisch stehen mag für den weiteren Verlauf des Abends. Die Produktion (in der wirkungsvollen Ausstattung von Mark Bailey und Licht von Paul Pyant) beschert ein Déja-vu nach dem anderen. So als hätte der Engländer Michael Corder, der unter anderem Tänzer im Londoner Royal Ballet gewesen war, landläufig bekannte Zutaten für Dramaturgie, Regie und Choreografie zusammengefügt und daraus eine durchaus funktionierende, wenn auch langatmige Erzählung mit Prokofjews Schwermut erwirkt: Gerda findet ihren durch Spiegelscherben charakterlich entfremdeten Kay nach langer Suche und geträumter Sehnsucht im Reich der Kälte wieder.
Da in den letzten Monaten gleich mehrere englische Teams mit dem Wiener Staatsballett arbeiteten, drängt sich ein Vergleich auf. Ashtons „Fille mal gardée“ aus dem Jahr 1960 hat seine Wirkung nicht verloren, der Choreograf besann sich bewusst auf historisches Material und schuf es sozusagen neu. Christopher Wheeldon, ebenfalls Royal Ballet, kennt man in Wien bisher nur von seinem Ende Oktober herausgekommenen, kurzen, wenig aussagekräftigem Stück „Fool’s Paradise“.
Gleichwohl verbucht Wikipedia die Bezeichnung „contemporary ballet“ unter seinem Namen. Welche Bezeichnung würde sich für den Choreografen des neuen Abends in der Volksoper eignen? Eventuell: traditional ballet. Und zwar jene Form des traditionellen Ballettverständnisses, die tatsächlich bausteinartig und schablonenmäßig klappt und für die große Tänzerschar auch jede Menge Anforderung parat hat. Man könnte auch freundlich sagen: eine Ballettmeister-Arbeit mit viel Glitzer-Effekt. In der „Schneekönigin“, die übrigens 2007 für das English National Ballet entstand, wird demnach viel gesprungen und gedreht und klassisches Vokabular angewandt. Vergeblich sucht man da nach einer spezifischen künstlerischen Handschrift, die im besseren Fall auch etwas mit Gegenwart zu tun haben könnte.
Abgesehen davon muss aber klar festgestellt werden, dass das Ensemble von Corder und Team tanztechnisch sehr gut vorbereitet wurde und das Volksopern-Orchester unter dem englischen Dirigenten Martin Yates zu einer bemerkenswerten Form aufläuft. Olga Esina in der Titelrolle lässt es nicht an bestechenden Grands jetés mangeln, auch ein heimtückisches Funkeln mag man ihrer Carabosse-ähnlichen Rolle ansehen. Gestützt wird sie von Leonardo Basilio und Jakob Feyferlik, die als Wölfe wie alle anderen Märchenrollen tanztechnisch klassisch grundiert und hauptsächlich durch das Kostüm charakterisiert sind. Die Ausnahme: das Gerda zu Hilfe kommende Rentier, das Géraud Wielick einnehmend umsetzt. Als junges Paar machen Alice Firenze (Gerda) und Davide Dato (Kay) gute Tanz-Figur, eine facettenreiche Rolleninterpretation ist wohl auch gar nicht intendiert.
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