Getriebene Gemeinschaft
Ein Fotoblog von Ursula Kaufmann zu „Futur Proche“ von Jan Martens mit dem Opera Ballet Vlaanderen bei der Ruhrtriennale
Einmal Panik für Fortgeschrittene. In „Phobia“ schaffen die Tanzteams Club Guy & Roni aus Holland und En-Knap aus Slowenien unter den magentief wummernden Trommeln von Slagwerk Den Haag ein mitreißendes Angstszenario. Die Tänzer wimmeln über die Bühne, vibrieren oder hüpfen in spastischen Verkrampfungen – Ängste überall. Und wenn‘s bloß das Ei im Spot ist, das zu platzen droht. Während ein riesiger schwarzer Ballon auch mal ins Publikum gefedert wird, wo zuweilen Tänzer Schutz suchen oder erschöpft zusammenbrechen. Guy Weizman und Roni Haver nehmen alle möglichen Formen der Angst auf und durchrühren sie zu raffiniert gesteigerter Panik, strukturiert von einer mehrfach wiederholten Attentatsszene: Als ob gerade eine Bombe explodiert sei, stieben die Tänzer auseinander, hechten über Liegende, ergreifen Fallende, tragen, schmeißen und zerren sich.
Die Geschichte der Menschheit sei eine der Kriege, zitiert eine Hasspredigerin, und sie beginnen im Kleinen, wie eine zentrale Demütigungsszene des Stücks zeigt. Der schüchterne Brillenträger, der immer manisch sein Hemd in die Hose steckt, wird von den anderen herumgestoßen, ausgezogen, grinsend per Handy gefilmt, zeitweise in einen Käfig gesperrt. Bemerkenswert ist, wie dabei aus Realität nicht Pantomime, sondern Choreografie von bedrückender Intensität wird: Die Tänzer lassen den Gedemütigten stets eine Bewegung beginnen, durch die er entkommen könnte, versperren ihm aber durch ihre Grätschen oder plötzlich gestreckten Beine und Arme konsequent die Fortsetzung. Über weite Strecken bleiben ihre Bewegungen dabei auf Distanz, wo sie real aufeinanderschlagen würden. Trotzdem vermittelt sich die Bedrohung suggestiv. Machtspiele, Angstspiele.
Und dann werden einer Frau Hasstiraden so lange im Wortsinn in den Kopf geboxt, bis sie explodiert, bis sie die angestaute Aggression, die eigentlich den Einpeitschern gelten müsste, in deren Sinn an anderen auslässt: Sie wirft die Bombe, die hier nur ein Ei ist, löst eine orgiastische Version des Attentatszenarios aus, ein „glorreiches Event“, wie die Ansage verkündet und wie sie der IS gern ins Internet stellt. Der phobische Reflex: eine Tänzerin will sich aus Protest gegen solche Gewaltexzesse selbst verbrennen. Das Feuerzeug kommt aus dem Publikum. Die Tänzer tauchen in Säcken mit ihrem Foto als Zombies wieder auf, ein nackter Adam bringt den Feuerlöscher. Schon zu spät?
Guy & Roni haben einen gut getimten Abend des Grauens geschaffen; verstörend wild, ungebärdig, vielleicht gar kathartisch, indem die künstlerische Erfassung der Angst diese auch bewältigen hilft. Ein starkes Stück.
Neben dieser Großform beachtet das Festival Tanztheater International in Hannover aufmerksam das getanzte Kammerspiel. An den Vorabenden gaben sich die Choreografen dabei jeweils einer Grundidee erschöpfend hin. Rachid Ouramdane, der im vergangenen Jahr mit „Sfumato“ ein wunderbares Tableau in die Orangerie gezaubert hatte, lässt diesmal Lora Juodkaite in unendlichen Drehungen über die Bühne kreiseln. Es ist atemberaubend zu sehen, wie sie dabei mit mal gereckten, mal vor der Brust verschränkten Armen ihr Tempo variieren kann. Bis hin zu unglaublicher Beschleunigung, urplötzlich aber zum Stillstand kommend, wie rausgerissen aus ihrem Traum, von dem sie nebenbei noch via Mikro erzählt. Davon, wie sie sich nämlich als Kind schon derart in eine andere Welt hineinkreiselte, wie sie die Wirklichkeit so nur noch als taumelnden Schemen wahrnimmt.
Eine suggestive Bewegungsstudie mit schöner Geschichte – aber einen Abend trägt das doch nicht. Ouramdane unterbricht die Kreiselei durch verbogene, verkantete, verknotete Bewegungen der Tänzerin Annie Hanauer, daher wohl der Stücktitel „Tordre“, aber leider verwickeln sich die beiden Soli nicht, sondern wechseln sich nur ab. Einmal nur wird Juodkaites Drehen in Hanauers Armen gestoppt. Der Auf- und Abtritt beider mit Revuegesten, als stellten sich hier zwei Artistinnen aus, zwingt das nicht zusammen. Und „Tourner“ wäre vom Anteil Juodkaites her auch der bessere Stücktitel gewesen.
Da reicht Jan Martens‘ Duo „Sweat Baby Sweat“ schon weiter: eine aussagekräftige Kletterstudie zweier halbnackter Beziehungspartner. Anfangs steht Steven Michel fest auf seinen Füßen, Kimmy Ligtvoet hat sich auf seine Schenkel gestemmt, so dass sie den Boden nicht berührt. Nähe, Einssein, Aufeinanderbauen-Können, das assoziiert man sofort, wenn die beiden sich nun langsam durch alle möglichen Positionen turnen, dabei aber über weite Strecken nur einer der Partner Bodenkontakt hat. Sie schaffen das mit Rolle rückwärts und Liegefigur. Die Wiederholung dieser ersten Liebesphase aber mündet in einem Kuss, der nur noch im Kopf zusammenhält, während die Körper auseinanderstreben. Deutlich will sich der Mann den Umklammerungen der Frau entziehen; umso stärker umschlingen ihn ihre Arme und Beine.
Martens gelingt da ein sprechendes Bild unterschiedlicher Bedürfnisse in einer Beziehung. Der eine braucht mehr Freiheit, trotzdem ist die Liebe (im Kuss) noch da. Und während ein unendlicher, jammernder Liebessong ertönt, krabbelt oder robbt er ihr doch wieder hinterher, liegen sie mal still nebeneinander in nun entspannter Vertrautheit (oder schon Interesselosigkeit?), dann weit auseinander. Ein Paar in Routine. Zuletzt ist er allein übrig, das Lied nervt, und die ganze Beziehung scheint endgültig tot zu sein, zerdrückt in der anfänglichen Nähe und Untrennbarkeit. Das ist porentief muskulös inszeniert und geht psychisch unter die Haut. Ein großartiges Stück auf minimalistischer Basis. Da ist man schon auf den nächsten Martens gespannt.
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