Bitte mal herschauen!
Tanzplattform Sachsen 2013
Wie Wellen plätschern sie heran, die zehn Tänzer*innen der Compagnie de Chaillot in der neuen Choreografie ihres künstlerischen Leiters Rachid Ouramdane. Sie tingeln aus Dunkel und Nebel an den Bühnenrand und wieder zurück, ins Dunkel, ins Licht zu den verloren gegangenen Sounds eines Glockenspiels, das irgendwann in das emotionalere Klavier übergeht (musikalisch ein Leitmotiv, aber auf Dauer in diesem Abend auch irgendwann vorhersehbar). Auch das Meeresmotiv wird immer wieder auftauchen an diesem Abend mit dem Titel „Contre-nature“, der am Freitag in Hellerau seine deutsche Erstaufführung feierte. Im Schlussbild dann sogar mit einem Text über schwimmende Delphine, den es allerdings auch nicht gebraucht hätte.
Rasanter Ritt
Rachid Ouramdane setzt auf die körperliche Kraft und Koordination seiner Tänzer*innen bzw. seiner Akrobat*innen, denn was er hier macht, schwimmt auch mit auf dieser aktuellen Welle des Neuen Zirkus, der Akrobatik und Tanz miteinander verbindet und es hier tatsächlich schafft, beides gleichwertig zu verbinden. Ein rasanter Ritt. Zu Beginn bewegen sich die Tänzer*innen gar in ballettartigen Hebefiguren und kreiselnd über die Bühne, aber die Formstrenge des Althergebrachten wird konterkariert durch die hohe Dynamik. Das Ballettartige kann diese Energieimpulse nicht fassen, alles bricht aus, und bald fliegen Körper durch die Luft, fallen von Schultern, hochpräzise gefangen zu werden. In die Gruppe greift ein Wirbelwind, der sie in atemberaubendem Tempo über die Bühne treibt. Menschen werden an Arm und Bein herumgewirbelt, und alles ballert wie ein Wirbelsturm auf die Zuschauenden ein.
Dabei wechseln dramaturgisch ruhige Passagen die rasanteren ab, die dann vom Tanz in die Akrobatik wechseln und wieder zurück. Es ist schon atemberaubend, wenn die Truppe Menschentürme baut, bei denen bis drei Menschen zusammen auf den Schultern übereinander stehen oder wenn ein Artist einen einarmigen Handstand auf dem Kopf eines anderen macht oder Menschen meterweit durch die Luft geschleudert werden. Aber es ist eben auch kein artistischer Selbstzweck, sondern eingebunden in einen Rhythmus und eine mystische Suche, die auch durch die Projektionen, einem sich bewegenden Wald, unterstützt wird.
Assoziationsfeld mit dramaturgischem Potenzial
Allerdings bleibt der Abend inhaltlich vor allem ein Assoziationsfeld ohne einen klaren Fokus. Zwar gibt es dramaturgische Versuche, etwa durch das mehrmalige Auftauchen einer Person mit Kapuze oder dem Text am Ende eine Art wiederkehrende Symbolik zu etablieren, aber das erzählt leider nichts, so wie der Abend eben auch durch seine Bilder und seine wohlgeformte und wohlgesetzte Artistik überzeugt. Den Titel kann man dabei so interpretieren, die natürlichen Grenzen des menschlichen Könnens zu überwinden, gegennatürlich also und jenseits eines Ideals, als das das klassische Ballett ja einst angetreten war. Aber das bleibt im Grunde offen, und zum Ende hin, wenn es eher in Soli oder kleine Duette transformiert, geht dem Abend konzeptionell auch ein wenig die Luft aus – und sicher auch den Künstler*innen angesichts des enormen Pensums in dieser einstündigen Performance.
Insgesamt ein gelungener mitreißender Abend, der das Können der Performer*innen in den Vordergrund stellt, das von der Choreografie klug und genau sortiert wird, der aber konzeptionell noch etwas Politur vertragen könnte.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Bitte anmelden um Kommentare zu schreiben