Markante Ausrufezeichen
„Blind Date“ und „Carnival of the Body“ im Lofft Leipzig
Tangoabend sorgt für einen ersten Höhepunkt bei der Tanzoffensive im Lofft Leipzig
Am Samstag gab es im Lofft den dritten Abend der Tanzoffensive und deren ersten Höhepunkt. Mit zwei bejubelten Performances, die auf je ganz eigene Art dem Tango Reverenz erwiesen: ihn zelebrierend nicht nur als traditionsreichen, zeitlos faszinierenden Tanz, sondern auch als choreografisches Inspirationsmaterial. Als Frei-Raum, in dem auf der Klaviatur der Emotionen, die mit dem Tango, diesem „traurigen Gedanken, den man tanzen kann“, ebenso gespielt wird, wie auf dessen Bewegungsskalen.
Dass der Tango der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens sei, gehört nicht unbedingt zu den geistreichsten Aussagen, die George Bernard Shaw von sich gab. Allerdings lohnt es, mit Blick auf „Downtango“ diesen Satz doch noch mal auszugraben, auch wenn von seinen Altherrenwitzmuffeln die Choreografie der Spanierin Lucia Marotes so weit entfernt ist, wie nur irgendwas. Zwei Tänzerinnen (Poliana Lima, Lucia Marote) sitzen sich im Bühnenraum gegenüber und streifen in stiller Konzentration ihre Tangoschuhe auf die Füße. Bis die Klänge von „El Flete“ erklingen, natürlich in der Originalfassung des großen Juan D'Arienzo y su Orquesta Tipica. Klar, da kann man schon mal auf die Knie gehen.
Lima und Marote tun mehr als das. Hingestreckt auf dem Boden entfalten sie fortan ihren Tanz. Und wie! Zu erleben ist eine Choreografie in der Horizontalen, die tatsächlich etwas von Verlangen und Begehren erzählt. Zugleich aber auch von dessen Absurdität. Anziehung als Vorgang seitenverkehrter Spiegelung. Da modellieren, als gehörten sie auf dem Rücken liegenden Käfern, die Beine bekannte Tango-Schrittfolgen virtuos im Luftraum, oder winden sich die Körper in erstaunlichem Tempo über den Boden. Driften, in all ihren schönen, verzweifelten, auch lasziven Bewegungen, dabei ähnlich gespenstisch auseinander, wie sich D'Arienzos Musik zunehmend in elektronischen Verzerrungen und Dissonanzen zerfasert. Eine Performance, prägnant auch ob ihren allzu schnell verfliegenden 15 Minuten Dauer. Visuell zeigt sie einen eigenartigen Körpersurrealismus: Jene Paradoxie erdenschwerer Leichte, die hier auf unkonventionelle, auch ironische Weise, etwas sehr Tiefes über die Poesie und das Wesen des Tangos erzählt.
Durchaus eine Gemeinsamkeit mit „Tango Noir“, der zweiten Show des Abends. Die finnische As2Wrists Dance Company lädt zur Milonga der gebrochenen Herzen in irgendeine einsame Bar, die wohl wiederum irgendwo auf dem „Boulevard der Dämmerung“ besseren Zeiten nachtrauert. Billy Wilders berühmter Film ist in „Tango Noir“ nur einer der geschickten cineastischen Referenzen, mit denen Minna Tuovinnen und Martin Heslop (Tanz und Choreografie) eine wunderbar atmosphärische Inszenierung schufen, in der sie vor den (projizierten) Gesten aus der großen Zeit des Kinos, als Männer noch aussahen wie William Holden oder Robert Mitchum und Frauen wie Gloria Swanson oder Rita Hayworth, ihr eigenes kleines, intimes Kino-Tanzstück zeigen.
Eins, das auch vom Phantomschmerz künden mag, ob amputierter Gefühle und geschrumpfter Herzen in heutiger Zeit. Und zugleich davon, wie im Kino und natürlich im Tango (den Tuovinnen und Heslop passend traumwandlerisch, manchmal wie in hypnotischem Slow Motion vorführen) diese Gefühle immer noch reaktivierbar sind. Wenn auch oft nur mit ironischen Kontrapunkten, von denen Johnny Rottens „This Is Not A Love Song“ nur einer von vielen ist, die etwas rotzig unverschämt die Inszenierung entern und ihr genau damit jene selbstverständliche Vollkommenheit verleihen, die dem Tango eigen ist.
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