Markante Ausrufezeichen
„Blind Date“ und „Carnival of the Body“ im Lofft Leipzig
Halbzeit bei der 5. Leipziger Tanzoffensive. Nach der (anti)gravitätischen Reflexion über den alternden Körper in „Soft Landing“ und dem minimalistischen Experiment über das Verhältnis von Wort, Bewegung und Ton in „Playback“ lief am Montag die Erfolgsinszenierung „Under green Ground“ von Stephanie Thiersch. Und hier ging es nun in medias res, keine Gnade mehr.
Schon beim Eintritt ist das Konzept sichtbar – Brechung, Irritation, Spiel mit Formen. Männer werkeln auf der Bühne, die Einleuchtung läuft noch. Inmitten der kräftigen Arbeiter ein Persönchen: Alexandra Naudet, deren Bewegung die Sprache der Tänzerin spricht. Einer alternden Tänzerin, eines Körpers von Gewicht. Sie strahlt Widersprüchliches aus: Zerbrechlichkeit und Gewalt, Sex und Hass. Unmerklich entgleitet die Probenatmosphäre in eine Inszenierung und wieder zurück. Schon das erste Warm-up-Solo, bei voller Saalbeleuchtung, steigert sich von schwingenden, fast statuenhaften Posen zu einem wild zuckenden, hysterischen Veitstanz. Und zwischen diesen Polen changiert die gesamte Inszenierung – wobei das eine das andere zunehmend verstärkt. Die nächste Szene atmet schon umfassende Brutalität – tiefer grüner Grund wird ausgerollt und Naudet verausgabt sich darauf zur trashig-abgründigen Musik von Peaches („Fuck the pain away!“). Die Bewegungen sind von einer Erbarmungslosigkeit, die Naudets Körper osmotisch für ihr Unterbewusstsein machen. Immer wieder zieht sie sich selbst die Beine weg, stolpert betäubt von einer grotesken Volte in die nächste. Außergewöhnlich ist die markante Mimik der Tänzerin – zwischen Lolita und Wasserleiche, Figurine und Dämon. Dabei schlagen ganz klassische, archetypische Formen durch, die eher römisch-radikal als griechisch-anmutig daherkommen. So wenn Naudet hinter Glasfließen seltsam verzerrt und völlig nackt dahingleitet. Die sanften Bewegungen werden immer mehr zu bizarren Verrenkungen, die im Zuschauerkörper unerträgliche Resonanzen haben. Dies wird ständig gebrochen durch das Auflaufen der Bühnenarbeiter, die mit einer bitter-ironischen Partynummer („Holiday, Celebration!“) die Aufmerksamkeit von dem sich windenden Stück Fleisch abziehen. Naudet, deren Körper von Jahr zu Jahr mehr zu erzählen hat, trägt ihre Haut zu Markte und opfert sich an unserer Stelle.
Die Inszenierung steigert sich in einen narkotischen Rausch, in dem die Tänzerin, nur mit jungfräulichem Hemdchen bekleidet, nach Marylin Manson „Sweet Dreams“ schreit oder minutenlang mit herausfordernd-traurigem Blick (wieder so ein Zwischengefühl) in unheilvoller Nabelschau ihren Bauch zeigt. Immer unterstützt von einer perfekten Lichtregie, die nicht Feigenblatt ist, sondern selbst erzählt. Auch die letzte, eher zärtliche Szene, in der sie mädchenhaft, plump über den Rasen tänzelt steht unter dem tiefen Eindruck der libidinösen Gewalt.
Stephanie Thierschs vielgezeigte Inszenierung lag eine Weile auf Eis. Zu sehr hatte sie die Beteiligten ausgelaugt. Die Neubearbeitung ist wohl das, was man gereift nennen würde. Viel richtiger ist, dass die Inszenierung weiter wuchert. Dabei ist Vorsicht geboten vor zu viel Zerfaserung und Dekonstruktion, damit Intensität, Heftigkeit und Wucht erhalten bleiben.
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