Der Tanz durch wunderbare Welten
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„Hamlet“ von Carlos Matos als beunruhigendes Tanztheater nach Shakespeare
Es war der Shakespeare-Spezialist Jan Kott, der in seinem Buch „Shakespeare heute“ darauf hingewiesen hat, dass man nie den ganzen Hamlet spielen könne, schon weil das Stück eigentlich mehrere, wenn nicht gar viele Hamlets enthalte. Aber jeder Hamlet, den man auf die Bühne bringe, müsse reicher sein, reicher um unsere Zeit, in der sich die Konflikte dieses Mannes spiegeln.
Konflikte unserer Zeit spiegeln sich in der Tanztheaterproduktion „Hamlet“ von Carlos Matos, nach Shakespeare, an den Landesbühnen in Radebeul auf jeden Fall. So wie Matos Texte aus der Übersetzung von Heiner Müller zuspielen lässt, so könnte ein Zitat aus dessen „Hamletmaschine“ das Motto dieser außergewöhnlichen Arbeit sein: „Unsern täglichen Mord gib uns heute“.
Hamlet, dessen Onkel seinen Vater ermordete und jetzt der Mann seiner Mutter ist, sollte diesen Königsmord rächen. Hamlet zögert. Sein Zögern kostet sechs Menschen das Leben. Er selbst kommt mit dem seinen nur annähernd zurecht, davon kommt er am Ende auch nicht, aber den Mörder des Vaters tötet er doch noch. Bis dahin muss er sich aufspalten, wenn er sich selbst beobachtet, sich fordert oder zurückhält, wenn nötig auch tröstet in der tödlichen Einsamkeit, die ihn unter all den lebenden Toten umgibt. Hamlet und sein Spiegelbild, Hamlet der niemandem trauen kann, nicht einmal sich selbst. Hamlet wird sich fremd.
Was bisher vielleicht etwas theoretisch klingen mag, ist aber in den Bildern, die Carlos Matos für sein Tanztheater mit den neun Tänzerinnen und Tänzern der Landesbühnencompany auf die Bühne bringt, von optischem und sinnlichem Reiz. So beginnt der Abend mit einer Szene von großer Schwermut. Es sind die beiden Hamletdarsteller, Michele Pastorini und Tommaso Quartani, die sich gegenseitig schützen und aufrichten, wenn im hinteren Raum der von Annett Hunger mit verschiedenen Ebenen ausgestatteten Bühne aus der Tiefe all die Menschen aufsteigen, die dann im Verlauf des Abends wieder ermordet werden müssen. „Sterben, schlafen, träumen, vielleicht...“, so die Stimme eines Sprechers mit Zitaten aus Shakespeares Stück in Heiner Müllers Übersetzung, tontechnisch nicht immer optimal ausgesteuert.
Und nach Begegnungen mit anderen Personen des Dramas, verstrickt in Motive und deren Abwandlungen, in einer Abfolge von Tatendrang und zweifelndem Zögern, wenn der zweite Teil beginnt, nach der Pause, wenn es wieder heißt: „Sterben, schlafen, träumen, vielleicht...“, dann ist dieser Hamlet in seinem Zögern eigentlich keinen Schritt vorangekommen. Sie kommen wieder, der Königsmörder und die Mutter als dessen Frau. Starke Charaktere in der tänzerischen Darstellung durch Till Geier und Morgan Perez. David Espinoza Angel als Polonius, der Spion, mit Tatiana Urteva als Ophelia, seine Tochter und Hugo Rodrigues als ihr Bruder Laertes. Die Studenten Rosencrantz und Guildenstern sind die Tänzerinnen Alessia Rizzi und Nina Planteféve-Castryck, Männer in Röcken oder Frauen als Männer.
Der Tanz um die Rache, die Tricks gegenseitiger Durchleuchtung und Überwachung durchziehen die Zeiten. Von daher ist es angemessen, wenn auch die Techniken des Theaters sich ändern, wenn Projektionen uns die Gesichter der Tänzer ganz nahe bringen, wenn Hamlets Antlitz auf den Körpern einer Gruppe anderer Tänzerinnen und Tänzer leuchtet. Wenn Ophelia mit einer Abhöreinrichtung zu Hamlet geschickt wird, dann bekommt diese scheinbar aus den Krimiserien bekannte Technik eine ganz andere Dimension. Hier wird kein Wort gesprochen, hier vernehmen wir Töne, Klänge, Geräusche, die nur bedingt vorher zu inszenieren und zu choreografieren sind, hier kommen wir den Darstellern so nahe wie selten, sie liefern sich uns aus. Das ist eine der stärksten Szenen dieser Produktion, die ohnehin nicht arm ist an eindrücklichen Momenten und im zweiten Teil erheblich an Dynamik gewinnt.
Dazu trägt auch die immer wieder von Momenten der Stille durchbrochene Auswahl der Musik bei. Moderne Klassik unterschiedlicher Genres und Formate, etwa von Gavin Bryers, Péteris Vasks, Arvo Pärt oder Goran Bregovic auch Wagners Walküren reiten da schon mal in ironisch verfremdeten Sounds durch die Installationen aus Körpern, Klängen und Bildern.
So wird dieser Abend, der zu Beginn ganz bewusst mit Momenten der Verunsicherung arbeitet, der den Tanz gänzlich löst vom Ballett, aber in der Vielzahl kreierter Bewegungsmomente die umfassende Persönlichkeit der Protagonisten fordert, immer suggestiver, beklemmender, er kommt uns nahe. Und dies, weil wir tagtäglich umgeben sind von den Morden und davon, dass ein Mord den anderen, nicht selten in vielfacher Weise, nach sich zieht. Aber wenn alle in dieser Tanztragöde zu Tode gekommen sind, dann bleibt Petra Zupančič als hinzu erfundene Figur eines Jokers am Leben und es steht wohl in seiner, Pardon, in ihrer Macht, dem Leben eine Chance zu geben.
Weitere Aufführungen: 27.02.; 12.03.; 5.05.
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