„Mozart-Briefe“ von Reiner Feistel

„Mozart-Briefe“ von Reiner Feistel

Der Tod im Sommer des Lebens

Reiner Feistels Ballett „Mozart - Briefe“ in Chemnitz

Einen Totentanz hat Reiner Feistel für seine bestens aufgestellte Kompanie nicht choreografiert, vielmehr zeigt sein „Memento mori“ den Menschen Mozart.

Chemnitz, 16/04/2016

Als Wolfgang Amadeus Mozart am 5. Dezember 1791 im Alter von 35 Jahren, 53 Tage vor seinem 36. Geburtstag, starb, befand er sich, gemessen an damaliger Zeit der Lebenserwartungen, im Sommer seines Lebens. Wenn in Reiner Feistels Ballett „Mozart - Briefe“ im zweiten Teil die ganze Kompanie zu den Sätzen des unvollendeten Requiems tanzt, dann ist zwar der Todesengel wie schon im Prolog und den 17 biografisch orientierten Szenen des ersten Teiles immer dabei, aber mitunter wird in so lebensglücklichen, weit fließenden und luftig schwingenden Kostümen getanzt, als erblühte hier das Sommerglück des Lebens unterm ewigen Licht: „Lux eternam“.

Auch wenn manche der choreografischen Bilder an die Traditionen plastischer oder gemalter Totentänze erinnern, wenn es Momente der Stille gibt, wenn eine Totenglocke läutet oder die Schellen des Totenwagens aus der Ferne zu vernehmen sind, einen Totentanz hat Reiner Feistel nicht choreografiert, ein ‚Memento mori’ aber schon. Und daraus, ganz im Sinne des am Beginn des Abends zum „Lacrimosa“ aus dem Requiem zitierten Briefes, vom 4. April 1787, wo Mozart vom Tod als wahrem Endzweck des Lebens schreibt, „Ich lege mich nie zu Bette, ohne zu bedenken, dass ich vielleicht (so jung als ich bin) den anderen Tag nicht mehr sein werde.“, bezieht dieser Abend seine unerschütterliche, so wunderbar getanzte Lebenskraft.

So wie Wolfgang Hildesheimer 1977 mit seinem Buch „Mozart“ dem Mythos vom ‚ewigen Wunderkind’, vom ‚weltentrückten Genie’, den Menschen, den Künstler, ja auch den Lebenskünstler Mozart, entgegen stellte, so steht in diesem Ballett der Mensch Mozart mit seinen vielen Facetten, mit seinen Widersprüchen als ein Abbild des Menschlichen im Mittelpunkt. Mozart tanzt in siebenfacher Gestalt, als Kind, als Junge, als Jüngling, junger Mann, als lässiger, cooler Typ, der von allen umschwärmt wird, als Ehemann mit Constanze und als kraftvoller, ganz und gar nicht verzweifelter Charakter im Angesicht des Todes. Es geht nicht um biografische Genauigkeit, es geht um die Weite der Assoziationen, die keine andere Kunst als der Tanz im Zusammenklang mit der Musik und hier mit zugespielten Zitaten aus Briefen Mozarts und des Vaters Leopold, so wunderbar uneitel eingelesen von den Tänzerinnen Helena Gläser und Natalia Krekou, dem Zuschauer zu eröffnen vermag.

Und die einander die Bühne des Lebens überlassenden Tänzerinnen und Tänzer vermögen es, jeweils typische Momente der angedeuteten Lebensabschnitte aufleuchten zu lassen: Valentin Herzog ist das Kind und Molly Gardiner als Nannerl das „Bäsle“ an seiner Seite, Isabel Dohmhardt ist der heranwachsende Junge, Yoh Ebihara der voranstrebende Jüngling, Alanna-Saskia Pfeiffer hat die Ambivalenz des jungen Mannes und Alessio Ciaccio tanzt in seiner herrlichen Coolness schon mal lässig bis in die Gegenwart heutiger Stile. Jean-Blaise Druenne im Tanz mit der charakterstarken Isabel Dohmhardt als Constanze hat die Fähigkeit angedeuteten Widersprüchen dieser Beziehung Raum zu geben. Und dann ist der so kraftvolle wie auch zerbrechliche Emilijus Miliauskas als Mozart allein mit dem Todesengel und seinen Träumen, für die Steffan Claußner eine grandiose Opern-Collage zusammengestellt hat. Da hört man die Stimmen, die Motive, noch einmal Mozarts Facetten, Cherubino, Don Giovanni, Papagena, Papageno, Sarastro und die Königin der Nacht, vor allem aber immer wieder Constanzes Aufbegehren gegen „Martern aller Arten“ aus „Die Entführung aus dem Serail“ und den aufsteigenden Koloraturen in die letzte Befreiung, „Zuletzt befreit mich doch der Tod“.

Optisch fügt sich in diesem opulenten Bild noch einmal alles vor dem inneren Auge zusammen, was uns zuvor in episodischen Szenen begegnete, Mozart mit dem von Leonardo Fonseca eindrücklich getanzten und gar nicht denunzierend oder wie so oft missverständlich gesehenen Vater, mit dem Erzherzog Colloredo, wie ihn selbstherrlich Alejandro Guindo Martín zeigt und den weiteren schon benannten Menschen in ihren Tänzen mit Mozart, in Nähe und Distanz, im Glück, im Unglück. Helena Gläser als Todesengel liegt zunächst als kauernde, kaum wahrnehmbare Gestalt am Boden, sie wird sich erheben, sie wird mitten im Geschehen sein, sie wird am Rande stehen und manchmal auch, gerade im zweiten Teil des Abends zur Musik des Requiems, zu den Menschen gehören.

Auch die Auswahl der teilweise biografisch zu den Szenen geordneten Musik aus Sinfonien, Sonaten oder „Sechs Deutsche Tänze“ mit intelligenten Grüßen an einen Meisterchoreografen wie Jiří Kylián, trägt zum Gelingen dieses Abends bei. Es geht auch ohne „Kleine Nachtmusik“. Eine nachdenkliche Vertiefung bringen die Ausschnitte aus Heinrich Ignaz Franz Bibers 16 Mysteriensonaten. Dass man sich bei der Zuspielung des Requiems für die Aufnahme unter der Leitung von Teodor Currentzis von 2003 mit Musica Aeterna und dem Chor „New Siberian Singers“ aus Novosibirsk entschieden hat, setzt wegen der Stringenz dieser Interpretation einen ganz besonderen Akzent. Nicht zu vergessen die Stringenz der dramaturgischen Grundierung dieses Balletts durch Thorsten Teubl.

Reiner Feistel präsentiert in dieser sehr persönlich geprägten Choreografie, solistisch oder im Corps de ballet, dabei auch Studierende der Ballettschule Hamburg Ballett John Neumeier und der Staatlichen Ballettschule Berlin, eine bestens aufgestellte Kompanie. Bei neoklassischen Ansprüchen sieht man Erstaunliches, Sprünge, Drehungen oder Hebefiguren, die Annäherung an zeitgenössische Formen der Bewegung ist organisch, die Individualität der Tänzerinnen und Tänzer wird in den Kostümen von Martin Rupprecht durch Mathias Klemm ins Licht gestellt. Nach dem großen Erfolg der Chemnitzer Meistersinger in der Oper werden in dieser Premiere die Chemnitzer Meistertänzer gefeiert.
 

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