„Thinking about Medea - Duke menduar Medean“ von Beatrice Fleischlin und Gjergj Prevazi. Tanz: Beatrice Fleischlin und Labinot Rexhepi

„Thinking about Medea - Duke menduar Medean“ von Beatrice Fleischlin und Gjergj Prevazi. Tanz: Beatrice Fleischlin und Labinot Rexhepi

Medea – im Museum und doch hoch aktuell

„Thinking about Medea – Duke menduar Medean“ von Beatrice Fleischlin und Gjergj Prevazi in der Kaserne Basel

Eine schweizerisch-albanische Koproduktion zeigt neue und aktuelle Lesarten des Medea-Mythos. Sie tut dies auf angenehm ruhige und unspektakuläre Art.

Basel, 14/01/2016

Medea tötet ihre Kinder, um sich an ihrem untreuen Ehemann zu rächen. So der Plot des alten Mythos in aller Kürze, dessen wohl bekannteste Version die Tragödie von Euripides ist. Dieser Text, in deutscher, englischer und albanischer Übersetzung bildet dann auch die Grundlage für die schweizerisch-albanische Koproduktion „Thinking about Medea – Duke menduar Medean“ von der Schweizer Performerin Beatrice Fleischlin und Gjergj Prevazi, dem Leiter der Albania Dance Theater Company. Nach ihrer Uraufführung in Tirana war die Performance, die sich anhand des antiken Textes mit Fragen der Geschlechterrollen, Beziehungsformen und dem Fremdsein beschäftigt, in der Kaserne Basel zu sehen.

Umgeben von weißen Leintüchern hat Nico de Rooij (Bühne und Lichtdesign) ein fragmentarisches Museum geschaffen. Halbfertige Vitrinen zeigen antike griechische Ausstellungsstücke, zwei Leintücher, die später noch für akrobatische Einlagen verwendet werden, hängen von der Decke herab. Ein Sofa bildet den Mittelpunkt für die beiden Performer, Beatrice Fleischlin und Labinot Rexhepi, der zur ersten Generation zeitgenössischer Tänzer und Choreografen im Kosovo gehört. So ruhig und minimalistisch wie die Ausstattung beginnt auch das Stück selbst. In schlichten schwarzen Kostümen (Diana Ammann) rezitieren Fleischlin und Rexhepi Passagen aus Euripides Dichtung. Neutral wird der Text vorgetragen, nur mit minimaler Gestik begleitet, (fast) immer zentriert zum Publikum. Schwierigkeiten macht in manchen Momenten der Sprachduktus der antiken Tragödie. Nicht so bei „Heligonka“, der schweizerischen Zwei-Mann-Band, die den Sound liefert. Ausgestattet mit Gitarre, Banjo, Schlagwerk und Akkorden haben Stefan Haas und Jesco Tscholitsch aus der englischen Übersetzung von Medea eigene rhythmisch-flüssige Songs komponiert. Mit ihrem griffigen Folkpop-Sound kreieren sie eine Atmosphäre, die zwischen (südosteuropäischer) Volksmusik und amerikanischen Folkrockelementen schwankt. Integriert in das Bühnengeschehen, nehmen sie nicht nur optisch einen zentralen Platz ein, sondern sind im Grunde auch inhaltlich die treibende Kraft. Hier klingt Euripides plötzlich ganz alltäglich und selbstverständlich.

Langsamkeit zeichnet diese Performance aus. Nicht nur der Text wird bewusst vorgetragen, auch die Choreografie konzentriert sich auf kleine Gesten. Zurückgegriffen wird auf das altbekannte Tableau, wenn Jason (Labinot Rexhepi) und Medea (Beatrice Fleischlin) in Standbildern ihre sich wandelnde Beziehung verdeutlichen. Der ganze Raum wird genutzt, die Übergänge zwischen den einzelnen Posen sind fließend. Beide Performer verfügen über eine klare Bühnenpräsenz und schaffen es die Spannung durch kleinste Bewegungsvariationen genauso wie über temporären Stillstand hinweg zu halten. Richtig tänzerisch wird es im Grunde nur dann, wenn Jason seine Männlichkeit demonstriert. Kraftvolle Volkstanzanleihen und eine kurze Breakdance-Einlage, durchsetzt mit Posen der Machtdemonstration, zeigen, dass Labinot Rexhepi tänzerisch einiges zu bieten hat. Es wäre schön gewesen, wenn Rexhepi als einem der wenigen zeitgenössischen Choreografen im Kosovo, so das Programmheft, mehr Gelegenheit zum Zeigen seiner Tanzkunst gegeben worden wäre.

Sehr klar ist die Botschaft dieses Abends. Zu klar manchmal, wenn im zweiten Teil des Stücks drei Männer über ihre Schwangerschaften berichten und ein dicker König (Beatrice Fleischlin in einem aufgeblasenen Ganzkörperanzug) eine Rede über die utopischen Möglichkeiten des Theaters hält, in dem alles möglich sei. Was in einem westeuropäischen Kontext vielleicht als allzu bekannte und eindeutige Brechung von Stereotypen und politisch-gesellschaftliche Kritik daher kommt, kann auch dem unterschiedlichen Kontext in Albanien geschuldet sein, der Thema im anschließenden Publikumsgespräch war. Ist Albaniens Theaterlandschaft in großen Teilen von einem klassischen Theaterverständnis geprägt, ist diese Performance ein ungewöhnliches Erlebnis wie Gjergj Prevazi immer wieder betont. Das Publikum sei zwar mit Euripides’ Medea vertraut, die zeitgenössischen (auch politischen) Bezüge und die minimalistische visuelle Präsentation der Tragödie seien für einen Großteil der Zuschauer jedoch sehr fremd gewesen.

So zeigt dieser Abend nicht nur neue Lesarten des Medea-Mythos, sondern auch divergierende Theaterrealitäten. Es ist durchaus möglich auf ein gemeinsames Stück europäischer Kulturtradition zurückzugreifen, auch funktionieren die meisten Referenzen und doch dürfte der Gesamteindruck ein anderer sein. Die Unterschiedlichkeit der europäischen Theaterlandschaft immer wieder ins Bewusstsein zu rufen und damit Selbstverständlichkeiten ins Wanken zu bringen, ist auf jeden Fall ein lohnendes Unterfangen, und vielleicht der bleibendste Eindruck dieses Abends.
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern