Bewegungs-Freiheiten
Boris Charmatz: „A dancer's day“ auf dem Tempelhofer Flughafen im Hangar 5
Mit dem Tanzereignis „Fous de danse“ gab Chris Dercon am gestrigen Sonntag seinen Einstand als neuer Intendant der Berliner Volksbühne. Auf dem Vorfeld des stillgelegten Flughafens Tempelhof in Berlin fanden sich hunderte TänzerInnen und ZuschauerInnen zusammen.
Konzipiert hat das zehnstündige Format Boris Charmatz, Leiter des Musée de la danse in Rennes. Seit Jahren versucht der französische Choreograf Tanzerbe lebendig zu halten, indem er dieses nicht wieder aufführt, sondern in Happenings im Museumsraum oder wie mit „Fous de danse“, das bereits in Rennes und Brest stattfand, dem Publikum unmittelbarer, auch im Mit-Tanzen, weitergibt.
So finden sich im Programm neben seinem Warm-up und dem kollektiven Tanz seiner Produktion „Levée“ Soli von Tanzikonen wie Isadora Duncan, Pina Bausch oder William Forsythe, in denen das pure Material der Bewegung demonstriert und kommentiert wird. Ausschnitte aus Choreografien von Anne Teresa de Keersmaeker und die neu inszenierte Version von Lucinda Childs' „Calico Mingling“ eröffnen weitere Kapitel der Tanzgeschichte. Ein DJ-Set mit Chicks on Speed, Urban Dances, ein Ausschnitt aus „Le Corsaire“ - getanzt von SchülerInnen der Staatlichen Ballettschule Berlin in Jeans und Turnschuhen - sowie türkische Tänze des BEM Folk Dance Ensemble erweitern das Spektrum des Tanzes. Große Menschentrauben bilden sich um die über den Tag und das Feld verteilten Aktionen und verhindern immer wieder die Dynamik des sich Annäherns und Hindurchbewegens bei den verschiedenen Tanzperformances, da sich oftmals doch allzu schnell die klassische Zuschauer-Performer-Situation einstellt.
Sich wiederholende, durch das Spektakel ziehende Sätze wie „Everybody can dance“ oder „We only want to show dance“ suggerieren Nähe zum - auch tanzfernen - Publikum und einen Wohlfühl-Volksfestcharakter, der den Beigeschmack der Eventisierung trägt, die dem neuen Intendanten im Vorfeld oft unterstellt wurde. Tanz zu zeigen und über die Freude daran zu vermitteln, statt diesen zu konzeptualisieren, mag für den ersten Tag in Ordnung sein; all seine Dimensionen erfahrbar zu machen, wird sich mit den von Dercon eingeladenen Performances von Boris Charmatz, Mette Ingvartsen oder Tino Sehgal im kommenden Programm hoffentlich zeigen.
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