Aus dem Vollen geschöpft
La Fura dels Baus inszeniert Haydns „Die Schöpfung“ in der Hamburger Elbphilharmonie beim Festival „Theater der Welt“
Salia Sanou aus Burkina Faso mit „Du Désir d’Horizons“ beim Festival „Theater der Welt“ im alten Kakaospeicher im Hamburger Hafen
Was für eine tolle Idee, eine riesige alte Halle, in der mal Kakao gelagert wurde, für die Kultur zu nutzen, noch dazu mitten im Hamburger Hafen, am Baakenhöft, direkt gegenüber der Hafencity-Universität. „Haven“ hieß diese Spielstätte, zentraler Ort der Multi-Kulti-Begegnung in den knapp drei Wochen des „Theater der Welt“. Es gibt eigentlich keinen Grund, sie nicht auch künftig für kulturelle Stelldicheins jeglicher Couleur zu nutzen. Der alte Kakaospeicher hat ihn noch, den rauen Charme einer Industriehalle, wo die Vögel unterm Dach wohnen. Und der Ort ist ein Place-to-be mit Blick auf die Skyline der Hansestadt, wo Möwen über der Elbe kreischen, hin und wieder ein Dickschiff tutet und die Luft nach Meer riecht. Hamburg-Flair at its best.
Mitten in dieser Halle eine eigens aufgebaute Zuschauertribüne, auf den Stühlen jeweils eine Fleecedecke, denn an kühlen Tagen wird es in der zugigen Halle schon nach kurzer Zeit recht ungemütlich. Davor ein bühnenartig abgeteiltes Rechteck – schwarz der Hintergrund, schwarz der Tanzteppich, in einer Ecke stapeln sich übereinander gestellte flache Klappliegen. Tageslicht fällt durch die schmutzigen Glasscheiben – aber an diesem trüben Abend macht die Sonne den wenigen Bühnenscheinwerfern keine Konkurrenz.
Zwischen den gestapelten Liegen schält sich langsam eine Frau heraus und beginnt, selbstvergessen mit sich selbst zu tanzen. Nach und nach kommen weitere Tänzer hinzu, vier Paare sind es schließlich. Erst nach 20 Minuten setzt Musik ein, anfangs Klavier solo, später ein Mix aus verschiedenen Werken, von afrikanischen Songs bis zum griechischen Sirtaki und wummernden, hämmernden Bässen. Mal agieren die Tänzer synchron, mal driften sie wieder einzeln auseinander. Sie stürzen ineinander, verknäulen sich, bilden Haufen, robben über den Boden, tragen einander, halten sich, jagen über die inzwischen über die Bühne verteilten Liegen, die an Flüchtlingslager erinnern. Das weckt Assoziationen zu den zentralen Themen unserer Zeit, die auf diesem Festival breiten Raum einnahmen: Flucht, Verfolgung, Begegnung, Mitgefühl, Erbarmen, aber auch Aggression und Ablehnung. Immer wieder wird der Tanz unterbrochen von Texten der kanadischen Schriftstellerin Nancy Huston, die eine der Tänzerinnen direkt ins Mikro spricht (und die man gerne im Programmzettel abgedruckt gelesen hätte).
Salia Sanou ist hier ein kleines Meisterwerk gelungen. Die melancholische Atmosphäre der Halle passt bestens zur Stimmung seines Stücks, wird aber immer wieder konterkariert durch die Lebensfreude, die sich im Verlauf des Abends mehr und mehr Bahn bricht. So kurven die Tänzer am Schluss mit vier Elektro-Mopeds über die Bühne zu den Worten von Nancy Huston: „It’s love, that makes the world go around.“ Und schließlich finden sie sich alle zusammen – sie sind angekommen. Ein großartiger Abschluss eines berührenden Stücks.
Bleibt zu hoffen, dass die Kulturbehörde aus diesem wunderbaren Fleckchen alter Industrie- und Handelskultur mitten im Hafen auch künftig eine Spielstätte macht, an der sich Kreativität in viele Richtungen entfalten kann.
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