„Emergence“ von Crystal Pite

Feuer, Wasser – und rockende Bienen

Zwei Meisterwerke in Zürich: „Speak for Yourself“ von León/Lightfoot und „Emergence“ von Crystal Pite

Das Zürcher Ballett ist für seine Vielseitig- und Wandelbarkeit berühmt. Die beiden Stücke wirken durch die Interpretation so originell und frisch wie am ersten Tag.

Zürich, 14/01/2018

Zwei abendfüllende Handlungsballette bilden die Schwerpunkte im Premieren-Programm 2017/18 des Ballett Zürich: Christian Spucks fantastisch umgestalteter „Nussknacker und Mäusekönig“, seit letztem Oktober auf der Bühne, ist bis Ende der Spielzeit ausgebucht – so gut kam die Version an. Im April folgt als Uraufführung ein „Faust“-Ballett von Edward Clug. Dazwischen hatte jetzt ein Doppelprogramm Premiere: „Speak for Yourself“ von Sol León/ Paul Lightfoot sowie „Emergence“ der Kanadierin Crystal Pite. „Emergence“ (Auftauchen, Hervortreten) lautet auch der Sammeltitel für das Doppelprogramm.

Die Musik für beide Ballette kommt vom Tonträger. Bei den Stücken handelt es sich nicht um Ur-, sondern lediglich um Schweizer Erstaufführungen. Und doch: Man ist hingerissen von diesem Programm, hat das Gefühl, völlig Neues, Nie-Gesehenes zu erleben. Entsprechend überschwänglich der Applaus des Publikums bei der Premiere im Opernhaus Zürich, mit einem kleinen Vorsprung für Crystal Pite.

In „Speak for Yourself“ (1999) schwingt die Ästhetik des Nederlands Dans Theater mit: Zeitgenössischer Tanz, der seine klassische Basis nicht verleugnet. Der gebürtige Engländer Paul Lightfoot ist heute künstlerischer Direktor der Truppe, er und seine spanische Frau Sol León sind Hauschoreografen. Zusammen haben sie schon dutzende Ballette kreiert, deren Titel übrigens meist mit S beginnen, wie auch der Name ihrer Tochter Saura. So kamen in Zürich früher schon „Skew-Whiff“ und „Sleight of Hand“ auf die Bühne. Doch wenige andere der Werke von León/Lightfoot wirken dramaturgisch so spannend und einprägsam wie „Speak for Yourself“.

Zuerst sieht man einen Tänzer (Daniel Mulligan) in Panik. Rauch aus unsichtbarem Feuer quillt aus seinem Rücken, verbreitet sich im ganzen Raum. Sätze aus Johann Sebastian Bachs „Kunst der Fuge“ erklingen, bedroht von rasselnden Klängen des Minimalisten Steve Reich. Der Rauch steigt nach oben, verwandelt sich in eine Wolkenlandschaft, bis sich der Himmel verfinstert, Sprühregen auf den Boden klatscht und Wasserlachen bildet. Ein faszinierendes Ausstattungs-Spektakel, vom Choreografen-Paar selbst kreiert.

Rauch und Regen – dazu lassen sechs Tänzer und drei Tänzerinnen in grauer Unterwäsche eine eindrückliche Choreografie entstehen. Alle neun Mitwirkenden zeigen teils halsbrecherische Soli, athletisch-eckig im ersten Teil, etwas fließender im zweiten, wo sich drei Paare ineinander verschlingen und wieder voneinander lösen (Yen Han/Matthew Knight, Anna Khamzina/Jan Casier, Elena Vostrotina/William Moore. Es sind zauberhafte, aber auch beklemmende Auftritte, intensiv getanzt.

In „Emergence“ (2009) zählt man dann gleich 37 Tanzende auf der Bühne, unter ihnen Mitglieder der Junior Company. Eigentlich ganz untypisch für die kanadische Choreografin Crystal Pite, deren eigenes Ensemble „Kidd Pivot“ in Vancouver nur wenige, dafür besonders experimentierfreudige Tanzende umfasst. Die Choreografin hat unter anderem mehrere Jahre bei William Forsythe getanzt. Sie verehrt ihn. Einige Stilmerkmale – neu montierte Klassik, verschobenes Timing – erinnern an den Meister. Dazu kommen verblüffende eigene Bewegungs-Erfindungen, welche das Ballett Zürich sich wie selbstverständlich angeeignet hat.

„Emergence“ handelt wunderlicherweise vom Leben und Verhalten der Bienen. Es beginnt mit einem aus der Larve schlüpfenden Insekt, das verzweifelt seine Flügel und Beine zu koordinieren sucht (Julia Tonelli). Dann strömen aus einem Bienenstock (Bühne: Jay Gower Taylor) weitere Exemplare, zunächst noch mit Insekten-Masken. Die Tänzer tragen lange, dunkel glänzende Hosen; ihre nackten Oberkörper sind strichweise tätowiert.

Die Tänzerinnen stecken in Bodies mit Wespen- oder vielmehr Bienentaille. Sie trippeln auf Spitze, während die Männer energisch ausholend die Bühne bevölkern. Man beobachtet Schwarmverhalten, Arbeitsteilung, Gruppen-Attacken – und unversehens wandelt sich das Bienenvolk in ein Ballettensemble, das seine Form sucht. Die Masken sind inzwischen verschwunden. Die stampfenden Beats der elektronischen Komposition von Owen Belton erinnern zuweilen an „Sacre du Printemps“, passend dazu die fordernde Gruppendynamik der Tänzerinnen und Tänzer.

 

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