Bundesjugendballett trifft Shakespeare. Tanz: Madeleine Skippen, Artem Prokopchuk

Bundesjugendballett trifft Shakespeare. Tanz: Madeleine Skippen, Artem Prokopchuk

Eher hinterher als vorneweg

„Bundesjugendballett trifft Shakespeare“ im Hamburger Ernst-Deutsch-Theater

Ist Shakespeare tatsächlich das, was junge TänzerInnen in diesem Alter bewegt? Eine nicht gerade gelungene Koproduktion zwischen dem BJB und dem Ernst-Deutsch-Theater zu Live-Musik unter der Regie von Kevin Haigen.

Hamburg, 02/06/2019

Warum nur, warum musste es ausgerechnet Shakespeare sein, bei diesem neuen, vollmundig als „Uraufführung“ titulierten Abend, den das Bundesjugendballett (BJB) zusammen mit dem Ernst-Deutsch-Theater einen Monat lang bis zum 5. Juli nahezu täglich (!) im Ernst-Deutsch-Theater zeigt? Unter einer „Uraufführung“ versteht man landläufig ja doch etwas komplett neu Kreiertes. Bei diesem Abend handelt es sich aber vorwiegend um Auszüge aus bereits Vorhandenem, das lediglich neu zusammengestellt, leicht variiert und mit Text und Musik neu kombiniert wurde. Entstanden ist so ein recht beliebig daherkommendes Potpourri aus verschiedenen schon bekannten Neumeier-Kreationen auf Shakespeare-Texte („Hamlet“, Wie es euch gefällt“, Was ihr wollt“, „Othello“) und Choreografien anderer Künstler, versetzt mit verschiedenen Auszügen aus Shakespeare-Texten und Live-Musik auf der Bühne (die von Aike Errenst sensibel und gekonnt zusammengestellt und arrangiert wurde).

Da fragt man sich schon: Ist Shakespeare tatsächlich das, was junge TänzerInnen in diesem Alter bewegt? Und müssen es so viele bekannte Neumeier-Kreationen sein? Heißt es doch unter „Was wir wollen“ auf der Homepage des BJB: „Das, was sie tanzen wollen, erfinden und erarbeiten sie selbst oder gemeinsam mit anderen jungen Choreografen“. Warum dann also nicht wirklich etwas ganz Neues kreieren zu Themen, die Jugendliche heute bewegen? Phantasie hätte diese junge Riege des BJB doch sicher genug? Überdies gibt es genügend junge Choreographen, die sich hier austoben könnten – Eric Gauthier in Stuttgart macht doch schon seit Jahren mit großem Erfolg vor, wie das geht. Aber auch die „Jungen Choreographen“ des Hamburg Ballett müssen sich bei der bevorstehenden Uraufführung – und das ist dann tatsächlich eine – zum Auftakt der Ballett-Tage in der Staatsoper am 16. Juni Shakespeare annehmen – seine Sonette sind es, die ihnen als übergreifendes Thema vorgegeben wurden. Ganz freiwillig dürfte das vermutlich nicht geschehen sein.

Im Gesamtergebnis war dieser Abend – abgesehen von dem wirklich ganz hervorragend auftanzenden BJB und den sensibel begleitenden MusikerInnen – eher weniger gelungen. Daran konnte auch das wunderbar schlichte Bühnenbild von Peter Schmidt nichts ändern, der mit einem perfekt proportionierten Holzgerüst eine stilisierte Imitation des Shakespeare’schen Globe-Theatres gebaut hatte. Denn Sprache, Musik und Tanz zusammen – das wirkt zu oft überladen, das eine geht im anderen unter: Entweder konzentriert man sich auf den Tanz, dann kann man dem Text kaum folgen; fokussiert man auf die Musik, stört die Sprache, und der Tanz rauscht allenfalls dekorativ vorbei, und vice versa. Auch beeinträchtigt es den Gesamteindruck sehr, wenn die Sprache nur mikroport-verstärkt aus Lautsprechern kommt – in einem so übersichtlichen Theater wie dem Ernst-Deutsch-Theater mutet das doch etwas seltsam an, schließlich braucht es nur eine gut ausgebildete Sprechstimme (über die ein Schauspieler nunmal verfügen sollte), um hier bis zur letzten Reihe durchzukommen, auch wenn Musik dazu spielt. Von allen Ensemblemitgliedern war hier Louisa Stroux am überzeugendsten und hätte der elektronischen Verstärkung in keiner Weise bedurft.

Die Zusammenstellung der Szenen (Konzept und Regie: Kevin Haigen) wird den Möglichkeiten der TänzerInnen des BJB leider nur teilweise gerecht. Warum Haigen z. B. ausgerechnet eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Szenen aus John Neumeiers „Othello“, die sadistische Schikane von Jago gegenüber seiner Frau Emilia, für diese blutjungen TänzerInnen ausgesucht hat, kann und muss man nicht verstehen. Ida-Sofia Stempelmann und Marcelo Ferreira geben zwar ihr Bestes und tanzen sich schier die Seele aus dem Leib, können aber schon von ihrem Alter her den mit diesem Part verbundenen Anforderungen nicht gerecht werden. Sehr viel passender und auch altersgerechter war dagegen eine Szene aus Neumeiers „Wie es euch gefällt“ (und bezeichnenderweise wurde hier nicht in den Tanz hineingesprochen) – sie gelang den beiden wunderbar, da wirbelten sie umwerfend komisch und mit bravouröser Attacke über die Bühne.

Die packendsten Szenen dieses Abends jedoch waren die Choreografien von Joseph Toonga und Raymond Hilbert zu Musik von Philip Glass, oder auch von Christopher Tudor zu Rebecca Clarkes „Prelude“ sowie der Rap von ALIEN WOW zu Choreografien von Dustin Klein und Ricardo Urbina Reyes (Tänzer beim Hamburg Ballett und früheres Mitglied des BJB). Da war das BJB wirklich ein BundesJUGENDBallett, da waren sie ganz und gar in ihrem Element, da konnten sie zeigen, was ihnen steckt – und das ist sowohl technisch wie darstellerisch sehr viel. Insbesondere Gabriel Brito, dieser hochbegabte Tänzer, konnte sich hier entfalten – leider war er, bezogen auf den gesamten Abend, relativ selten eingesetzt. Auch hätte man gerne gewusst, was aus den TänzerInnen wird, die das BJB nun nach zwei Jahren verlassen (Natsuka Abe, Artem Prokopchuk, Marcelo Ferreira, Emiliano Torres). Drei der neuen, die im Herbst hinzustoßen werden (allesamt aus der Ballettschule des Hamburg Ballett), waren schon jetzt mit eingebunden, ebenso wie einige TänzerInnen aus den Theaterklassen.

Es ist schade, dass das BJB mit so einem Abend eher hinterher - als vornewegtanzt – gerade weil es bundesweit auftritt, hätte es die Aufgabe, hier stilbildend voranzugehen. Mit diesem Abend wird das leider kaum gelingen.
 

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