„Raymonda“ nach Marius Petipa. Tanz: Ensemble

„Raymonda“ nach Marius Petipa. Tanz: Ensemble

Ein gelungener Auftakt

Debut der neuen Generation des Bundesjugendballetts in Hamburg

Bereits zum fünften Mal hat Kevin Haigen, Künstlerischer und Pädagogischer Leiter des BJB, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Yohan Stegli nun ein Programm für die „Aufschwung“-Serie zusammengestellt, wie immer eine Mischung zwischen Klassisch und Modern.

Hamburg, 20/11/2013

Es ist bereits zur Tradition geworden, dass sich das Bundesjugendballett (BJB) im Herbst mit einem gemischten Programm unter dem Motto „Im Aufschwung“ in Hamburg präsentiert. Dafür stellt Isabella Vertes-Schütter, Intendantin des Ernst-Deutsch-Theaters, regelmäßig ihre Bühne zur Verfügung – eine schöne Geste. Im Sommer 2013 änderte das Bundesjugendballett die Zusammensetzung – alle TänzerInnen, die seit 2011 die erste Generation darstellten, gingen in ein Engagement. Nur Madoka Sugai ist geblieben, sie ersetzte schon 2012 Natalie Ogonek, die damals auf eine Vakanz als Gruppentänzerin ins Hamburg Ballett wechselte.

Bereits zum fünften Mal hat Kevin Haigen, Künstlerischer und Pädagogischer Leiter des BJB, gemeinsam mit seinem Stellvertreter Yohan Stegli nun ein Programm für die „Aufschwung“-Serie zusammengestellt, wie immer eine Mischung zwischen Klassisch und Modern.

Den Auftakt bilden Auszüge aus „Raymonda“ nach Marius Petipa, choreografiert und einstudiert von Kevin Haigen selbst und Monique Loudières, frühere Étoile der Pariser Oper. Außerordentlich wohltuend fiel auf, dass die beiden hier gerade nicht die effekthascherischen Zirkusnummern ausgesucht hatten, sondern die viel schwierigeren „leisen“, langsamen und getragenen Passagen, in denen es auf Haltung und Linie, Balancen und vor allem auf die Delikatesse in der Interpretation ankommt. Haigen und Loudières hatten in ihrer Version der Choreografie hier eher noch einen Schwierigkeitsgrad mehr eingebaut als einen nachgelassen – eine echte Herausforderung für die jungen TänzerInnen, die für diesen Part noch durch den hochtalentierten Leeroy Boone und die Japanerin Kozue Tashiro aus der Ballettschule ergänzt wurden. Die zehn TänzerInnen meisterten diese Bewährungsprobe mit Bravour. Allen voran Madoka Sugai, die hier Weltklasseniveau zeigte und einmal mehr erkennen ließ, warum sie 2012 den Prix de Lausanne gewann. Da saß jeder Schritt, das war bis in die Fingerspitzen feinst ziseliert – ein Fest für die Augen! Verzeihlich, wenn bei manch anderem noch nicht alles bis ins letzte Detail klappte – dieses Stück ist eine großartige Möglichkeit, die klassischen Grundlagen zu perfektionieren. Und die bereits jetzt gezeigte Leistung stellt das hohe Niveau dieser kleinen, feinen Kompanie bestens unter Beweis. Das hätte auch das Hamburg Ballett nicht viel besser auf die Bühne gebracht.

Sehr schön der Bruch nach der letzten Verbeugung für „Raymonda“: der Vorhang geht nicht zu, sondern die TänzerInnen wechseln auf offener Bühne die Kleidung, tauschen die pastellfarbenen Tütüs mit schwarzen Trikots, lösen die Haarknoten, vier MusikerInnen drängeln sich dazwischen, Helfer schieben schwarze Boxen herein. Es ist ein munteres Gedränge, das sich schließlich in eine fast geometrische Strenge auflöst: für „Wasted Hopes with Hidden Fears“, die Uraufführung eines Gemeinschaftswerkes der beiden BJB-Neuzugänge Luca-Andrea Tessarini und Hélias Tur-Dorvault mit dem Ensemble zu einer Musik-Collage, unterbrochen von gesprochenen Statements der einzelnen TänzerInnen in ihrer Muttersprache (von Schwyzerdütsch über Englisch, Spanisch, Französisch und Ukrainisch bis Japanisch). Da wird viel gerannt und gesprungen, sich verflochten und wieder entwirrt. Sehr spannend die Begegnungen in den Pas de Deux, eine schöne Idee auch, dass sich die TänzerInnen immer wieder in die schwarzen Boxen zurückziehen.

Nach der Pause dann eine Remineszenz an den Intendanten des BJB: ein Auszug aus John Neumeiers „Ein Sommernachtstraum“, und zwar das Nocturne, bei dem sich nach dem großen Tohuwabohu die richtigen Paare im Zauberwald finden: Hermia (Madoka Sugai) und Lysander (Nicolas Gläsmann), Helena (Maria del Mar Hernández) und Demetrius (Luca-Andrea Tessarini). Für diesen Ausschnitt regte Neumeier neue Kostüme an, sie sollten „zum Stil dieser neuen, jungen Kompanie passen“, wie er selbst sagte. So richtig traf das allerdings nur auf Demetrius zu, der youngstermäßig passend in weiten Hosen im hellen Military-Muster und olivgrünem Shirt erschien. Relativ brav dagegen Hermia im dunkelblauen Kleidchen mit Rückenausschnitt, Lysander im großkarierten Hemd mit Jeans, und am bravsten Helena im kurzen blauen Glockenrock aus viel Stoff mit hellblauer Bluse, weißem Krägelchen und blauer Krawatte. Da hätte man sich dann doch mehr Mut zum Risiko gewünscht.

Das vierte Stück des Abends war erneut eine Uraufführung: „Dictionary Page Today“, ein Ballett von Marc Jubete, der seit 2011 als Gruppentänzer im Hamburg Ballett engagiert ist und schon mehrfach sein choreografisches Talent unter Beweis stellen durfte. Er verwendete u.a. Musik von Hugues de Courson („Mozart l’Egyptien“), die von Aike Errenst wunderbar mit Live-Versatzstücken aus Kontrabass (Lukas Onken), Cello (Phillip Wentrup), Klavier (Aike Errenst) und Stimme (Marlen Korf) kombiniert wurde. Marlen Korf intoniert dabei so ätherisch-fein, dass man fast meinen könnte, sie webe zusammen mit den Musikern eine fragil-transparente Hülle um die Choreografie. Marc Jubete hat hier eine exzellente Entfaltungsmöglichkeit für die jungen TänzerInnen geschaffen – da geht es um Einsamkeit, aber auch ums Miteinander, und vor allem um das Vertrauen zueinander und in sich selbst. Das ist ebenso einfallsreich wie spannend komponiert, mit einer feinen, das ganze Stück durchziehenden stillen Poesie. Hier zeigt vor allem die hochbegabte 19-jährige Jemina Bowring eine großartige Bühnenpräsenz und feinste Interpretationsnuancen – in der Bewegung ebenso wie im Ausdruck. Traumwandlerisch sicher wiederum Madoka Sugai, die teilweise mit geschlossenen Augen tanzte, hingegeben an Bewegung, Musik und ihren Partner Luca-Andrea Tessarini.

Und nachdem sich alle TänzerInnen zum Schluss einzeln kurz vorgestellt hatten, noch ein großartiger Schlussakkord: „Thankful“ von Sasha Riva zu dem Ohrwurm von Josh Groban, ursprünglich als Solo konzipiert (2011 im Rahmen der „Werkstatt der Kreativität“), jetzt für alle acht TänzerInnen adaptiert. Das ist eine wunderbar kitschige, mitten ins Herz treffende Verbeugung vor allen, die den Tanz lieben, die das BJB ermöglichen, und auch ein großes Dankeschön an das Publikum, das die jungen TänzerInnen gebührend feierte.
 

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