„Labyrinth“ von MillerdeNobili, Tanz: Nam Tran Xuan, Alessandro Ottaviani, Philip Lehmann, Fabienne Deesker, Niklas Capel

Fremd im eigenen Kopf

Miller de Nobili mit „Labyrinth“ in Hellerau

Verstörend, bedrückend und genau deshalb direkt im Kopf des Publikums: Das pyhsical theatre des Dresdner Choreografen-Duos konfrontiert mit den Alpträumen des Alltags.

Dresden Hellerau, 29/03/2024

Es hat etwas Kafkaeskes an sich: Ein Mann (Alessandro Ottaviani) scheint seinen Tag zu beginnen, etwas steif, leicht orientierungslos, unentschlossen. Er probt, ganz für sich, eine Begrüßung. Seine Bewegungen dabei sind merkwürdig. Verkrampft, zuckend, wie außer Kontrolle. Das hat etwas sonderbar Schrulliges. Einzelne Aspekte dieser ersten Szene erscheinen wie der Realität entrückt. Ottaviani gibt in „Labyrinth“ als Performer „eine sarkastische Kopie irrer Populisten“, wie es das Choreografen-Duo Chiara de Nobili und Alexander Miller nennt. Wie durch einen Alptraum zieht es ihn durch verschiedene Szenen, in denen er unterschiedlichsten Charakteren begegnet. Dabei ergibt scheinbar nichts Sinn. Alles fühlt sich an wie die „Logik eines Traums“, also ganz eigenen Regeln folgend, ohne jede Kongruenz. Nur an Schlaf ist hier im Wortsinn nicht zu denken.  

Mischung aus Traum und Realität

Vielleicht nähert man sich am einfachsten dem inhaltlichen Konzept, wenn man an „Pan’s Labyrinth“, einen Film von Guillermo del Toro denkt. Darin sucht ein kleines Mädchen in einem tatsächlichen steinernen Labyrinth Zuflucht vor den Grausamkeiten des spanischen Naziregimes. Schlussendlich aber ist auch ihre Phantasie-Welt eine tödlich grausame. Genau diese Mischung aus Realität und Traum ist es, die das Choreografenteam MillerdeNobili umtreibt: „Es sind die Alpträume, die wir tagsüber erleben. Irgendwie scheint manchmal alles auf uns einzustürzen, das ganze Gewicht der Welt. Da ist der Traum eine Möglichkeit, mit der Realität zurecht zu kommen. Genau diese Lücke möchten wir hier mit Tanz überbrücken“, so de Nobili. 

Immer wieder bricht Absurdes mit nonchalanter Selbstverständlichkeit ins Geschehen, wie die Wiederbelebungsversuche an einer Krawatte. Gleichzeitig sind „realere“ Szenen teilweise nur sehr schwer zu ertragen. Hier werden Aspekte wie Gewalt, Missbrauch und Tod künstlerisch durchdrungen, ohne schöngeredet zu werden. Das provoziert, aber nur in wenigen Fällen ein Lachen. 

Erdrückende Komplexität der Wirklichkeit

In einem cleanen Setting mit weißem Tanzboden agieren die sechs Performer*innen um mehrere mobile Spiegelwände herum; gekonnt monotoner Sound (Gábor Halász) hält den Moment in der irrealen Schwebe. Die Spiegel selbst reflektieren all das, was wir als Gesellschaft im Alltag gern ignorieren. Was genau das ist, zeigt sich – genau so bruchstückhaft – in Textpassagen von Politikern wie Trump, Mussolini oder Kennedy, aber auch Martin Luther King und Greta Thunberg kommen zu Wort. Damit wirkt die Komplexität der Wirklichkeit derart erdrückend, dass Freiheit im eigenen Traum der einzige Ausweg zu sein scheint.

Unsicherheiten und Ängste

Das Fragmentarische wird durch Breaking-Elemente mit Popping und Locking immer mehr ins Absurde gedreht und durch Einflüsse des physical theatre überspannt und weitergetrieben. Dabei bietet nichts Orientierung, selbst Einzelteile der Kostüme (von Antonia Krull) wandern von einem zum anderen. Psychologische Unsicherheiten und Ängste sprechen aus individuellen Wünschen wie dem nach einem besseren Verhältnis zum eigenen Vater oder sich einfach nur hübscher fühlen zu können. Eigentlich wollen alle nur weg von diesem Unort, der so merkwürdig ausgeleuchtet ist (Geohwan Ju), dass es scheint, die Wände würden sich aufeinander zu bewegen. Wenn dann gegen Ende hin Nam Tran Xuan auf einen der Spiegel die Frage „Is this our future?“ schreibt und schließlich aus „our“ einfach „your“ macht, ist weit und breit keine Antwort darauf zu entdecken. Es nützt nichts, das alles als Traum abzutun. Auch, wenn das Geschehen auf der Bühne nicht die Realität ist, repräsentiert es sie ja dann schließlich doch.

In der Vermischung der unterschiedlichsten Bewegungsstile und einem Cast, der durch Individualität glänzt, liegt hier eine Intensität und Konzentriertheit im Ausdruck, die man so nicht häufig antrifft. Da hat es schon fast etwas Entspannendes, wenn schließlich eine Szene immer wieder neu angegangen wird, variiert und mit immer mehr Beteiligten. Hier scheint die exzellente Dramaturgie das Publikum endlich etwas loszulassen. Den abschließenden Monolog aber, in dem die Rede vom Verschwimmen der Grenzen ist, hätte es nicht gebraucht. Schließlich bleibt auch so klar, dass es kein Entkommen geben kann. 

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