Schock in der Ballettwelt
Vladimir Shklyarov ist tot
Charmant, elegant, stilistisch perfekt – das waren Attribute, die auf den russischen Primoballerino Vladimir Shklyarov zutrafen, wie kaum auf einen anderen Tänzer an der gegenwärtigen Weltspitze. Seit 2016 kamen auch wir in München – für eine Spielzeit und dann regelmäßig bis 2019 immer wieder bei Gastauftritten – in den Genuss von Shklyarovs atemberaubend hohen Sprüngen und seiner immensen Bühnenpräsenz, mit der es ihm stets gelang, seine Mittänzer anzustacheln, sich darstellerisch weiter in ihre Partien zu vertiefen. Shklyarovs Auftritte waren niemals bloße Ego-Nummern, sondern Teil eines von ihm offensichtlich gewollten tänzerischen Gesamtkunstwerks. Und das war gut und vorbildlich!
Gemeinsam mit seiner Ehefrau Maria Shirinkina bildete er ein Traumpaar unter den Mitgliedern des Bayerischen Staatsballetts – als Giselle und Albrecht, als Romeo und Julia, als Alice und Herzbube, als Onegin und Tatjana, als Spartacus und Phrygia – zum Hinschmelzen schön. Mit Haut und Haar steigerten sie sich in die Charaktere ihrer Rollen hinein – oftmals bis zur berührenden, finalen Selbsttötung. Zudem unvergesslich: Shklyarovs auf der Website der Bayerischen Staatsoper gestreamte „Russisch-Stunde“, mit der er seinen Opernkollegen die richtige Aussprache der Rollennamen in Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ nahebrachte – augenzwinkernd-heiter, hell, melodisch und so gar nicht „klischee-russisch“.
Was die Ursache für Shklyarovs tragischen Tod betrifft, kann letztlich nur spekuliert werden: ein blöder Unfall, der ihn – voller Schmerzmittel – vom Balkon seiner St. Petersburger Wohnung im 5. Stock stürzen ließ? Eine Suizidabsicht aufgrund des drohenden Karriere-Endes wegen einer schweren Rückenverletzung und anstehender komplizierter Operation? Oder ein politischer Mord an einem (insgeheimen) Gegner des Putin-Regimes, der aus seiner Ablehnung des russischen Überfalls auf die Ukraine nie einen Hehl gemacht, sich mit den gesellschaftlichen Realitäten in seiner Heimat aber arrangiert hatte? Wahrscheinlich werden wir es ebenso wenig je erfahren, wie den tatsächlichen Grund für den unerwarteten und mysteriösen Tod der ehemaligen Solistin des Amsterdamer Nationalballetts Michaela DePrince, auf die die Ballettwelt schon als Jugendliche durch den Ballettdokumentarfilm „First Position“ aufmerksam geworden war. Michaela verstarb vor wenigen Wochen mit nur 29 Jahren; Vladimir Shklyarov, der seine Frau und zwei Kinder hinterlässt, wurde 39.
Tänzer wie der an der Waganowa-Ballettakademie seiner Heimatstadt St. Petersburg ausgebildete Shklyarov, die sich ihre Figuren technisch erkämpfen und gestalterisch erobern, sind genau das, was die Tanzkunst braucht. Deshalb wird Vladimir Shklyarov sehr fehlen.
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