Raum, Klang, Tanz
Initiation der Elbphilharmonie-Foyers mit Sasha Waltz & Guests' „Figure Humaine“
Einen solchen Jubel mit Standing Ovations erlebt das Konzerthaus an der Elbe nicht gar so oft, noch dazu, wenn hier Tanz gezeigt wird und nicht – wie sonst üblich – ein großes sinfonisches Werk. Sasha Waltz und ihrer Kompanie gelang dieses Kunststück am 7. Januar im Großen Saal der Hamburger Elbphilharmonie. Zusammen mit „The Young Gods“ aus der Schweiz brachten sie die Hanseat*innen beim Schlussbeifall ganz aus dem Häuschen: das Publikum schrie und klatschte und trampelte, was das Zeug hält. Zu Recht. Eineinviertel Stunden lang hatten die zwölf Tänzer*innen ein furioses Spektakel geliefert – hochdynamisch und doch von einer ganz eigenen inneren Ruhe geprägt.
„In C“ das ist eine höchst wandlungsfähige Choreografie für – in diesem Fall – zwölf Frauen und Männer zur gleichnamigen Musik von Terry Riley (geb. 1935). Schon 1964 hatte er dieses Werk komponiert, es wurde zur Initialzündung für die „minimal music“. Er gibt darin auf nur zwei Partiturseiten 53 musikalische Phrasen rund um den Ton C vor, die von den Musikern variabel eingesetzt werden können – so ergibt sich ein zwar in der Grundstruktur gleiches, aber in der jeweiligen Ausführung doch immer wieder anderes Werk. Sasha Waltz hat analog zur Musik schon 2021 ebenfalls 53 choreografische Bewegungsfolgen entwickelt, die von den Tänzer*innen individuell gestaltet werden können, allerdings in einem bestimmten, vorgegebenem Rahmen. „Es ist ein Stück darüber, als Individuum Teil einer Gruppe zu sein, nicht ein Individuum in einer Gruppe“, wird Sasha Waltz selbst dazu im Programmheft zitiert. Und so sind Choreografie und Musik gleichermaßen wandlungsfähig, sie passen sich den jeweiligen Gegebenheiten ‚chamäleonartig‘ an.
Die Uraufführung im Radialsystem in Berlin konnte wegen der Corona-Krise nur gestreamt werden (siehe tanznetz vom 7.3.2021). Seither zeigt Sasha Waltz das Werk jedoch live – mit unterschiedlichen Musiker*innen an wechselnden, teilweise sehr besonderen Orten: auf dem Dach der Osloer Oper, auf einer Werft in Rotterdam (zusammen mit 50 lokalen Tänzer*innen und Musiker*innen), vor dem Altar des Berliner Doms, vor der Neuen Nationalgalerie in Berlin, im unüberdachten Ehrenhof von Schloss Ludwigsburg, um nur einige zu nennen. Das Fotoblog von Ursula Kaufmann spiegelt die Aufführung an der Folkwang Universität im Rahmen der Ruhrfestspiele 2023, im Juni 2023 war das Stück mit ukrainischen Tänze*innen in Kharkiv zu sehen (siehe tanznetz vom 22.6.2023).
In Hamburg übernahmen jetzt erstmals „The Young Gods“ (gegründet 1985) den musikalischen Part, drei gar nicht mehr so junge, exzellente Musiker aus der Elektro- und Techno-Avantgarde: Bernard Trontin (Schlagwerk, Elektronik), Franz Treichler (Gitarre, Sampler, Computer, Stimme) und Cesare Pizzi (Computer, Sampler), und diese Elektro-Version mit beeindruckenden Percussion-Einlagen bekommt dem Stück ausnehmend gut.
Anfangs kommen alle – auch die drei Musiker – gemeinsam auf die im hinteren Rund von roten Stableuchten erhellte Bühne. Fünf Minuten lang gehen sie – noch ohne Musik – durcheinander, halten inne, gehen weiter, als suchten sie ihren Platz, bis sich die Musiker hinter ihren Instrumenten einfinden und ein Beat einsetzt, einem Metronom gleich. Mit heller werdendem Licht beginnen die Tänzer*innen die Arme zu schwingen, mit den Schultern zu zucken, sie hochzuziehen oder zu senken, die Arme und Beine zu strecken oder anzuwinkeln, ungeordnet und doch irgendwie einer Ordnung folgend. Zu dem Beat gesellen sich melodische Passagen aus den Samplern, der E-Gitarre oder dem Schlagwerk, und so entfaltet sich auf der Bühne über die nachfolgenden 70 Minuten hinweg ein dem Rhythmus der Musik angepasstes wohlsortiertes Chaos. Scheinbar zufällig formieren sich Gruppen von zwei und mehr Tänzer*innen, ahmen einander nach (oder auch nicht), greifen ein Bewegungsmuster auf (oder auch nicht), lassen sich treiben von anderen (oder auch nicht), verharren in einer Arabesque (oder auch nicht), fügen sich plötzlich unisono zusammen (aber nur ganz kurz), um sich dann doch wieder zu vereinzeln oder zu mehreren zu vereinigen – immer geleitet von bzw. in Zwiesprache mit der Musik, aber auch im ständigen Dialog miteinander.
Die Rhythmen entfalten eine unwiderstehliche Magie, die das Publikum förmlich einsaugt und in Trance versetzt, einige wippen mit dem Kopf, andere wiegen den Körper, und kaum noch ein Huster verirrt sich in den Raum. Gebannt folgt das Publikum in ausverkauftem Haus dem wogenden Treiben auf der Bühne, diesen phantastischen Tänzer*innen in ihren klarfarbigen, schlichten Kostümen von Jasmin Lepore mit langen Hosen oder Shorts und losen Oberteilen, in dem raffinierten Lichtdesign von Olaf Danilsen. Wellenartig schwillt der Klang an und ebbt wieder ab, wie Vogelschwärme finden sich die Tänzer*innen zusammen oder stieben auseinander – es ist, als würde man mitgleiten auf unsichtbaren Schienen, bis alles in einem sanften Schluss mündet und hinausschwebt in ferne, ätherische Weiten. Nach einer kurzen Sekunde des Staunens bricht dann der Beifall los, entfesselt sich ein Sturm der Begeisterung, wie ihn die Elbphilharmonie selten erlebt hat. Allen Beteiligten ist die Freude darüber ins Gesicht geschrieben. Ein grandioser Abend.
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