„see the music- and dance! Ein gelebtes Experiment” von Johanna Richter, Tanz: Amie Jammeh, Erica D‘ Amico

Ansteckende Leichtigkeit

„see the music- and dance! Ein gelebtes Experiment” von Johanna Richter schwere reiter München

Die Perfomance mit live-Musik hält, was der Titel verspicht: Feinfühlig wird hier die Musik durch tanzende Körper sichtbar gemacht, bis der Groove so mitreißend wird, dass er sich auch auf die Zuschauenden überträgt.

München, 23/06/2024

Von Leonie Stoeckle

Manchmal ergibt eine Reihe von glücklichen Zufällen Großartiges. So auch bei „see the music-and dance! Ein gelebtes Experiment“, Johanna Richters neuem Tanztheaterstück. Zunächst mussten sich dafür der Pianist Zoran Imširovic und der Klangkünstler Conrad Hornung begegnen und eine musikalische Reise erschaffen   Sie verwebten Stücke von Arvo Pärt, John Cage und Steve Reich mit modernen Beats. Und dann kam die Choreografin Johanna Richter ins Spiel: Diese wohnt zufällig mit Imširovic im selben Haus und erwähnte, dass sie für ihr neues Stück auf der Suche nach exakt so einer Klangreise sei. Ist das dann noch Zufall oder schon Schicksal? So oder so, die daraus entstandene Performance mit vier Tänzer*innen und zwei Musikern ist ein großes Vergnügen.

Das Stück möchte damit experimentieren, wie Musik durch den Tanz sichtbar gemacht werden kann. Manchmal scheint der Rhythmus in den Körpern der Performenden zu stecken und diese von innen heraus zu bewegen, manchmal erschaffen die vier Tänzerinnen auf der Bühne Geschichten, die aus einem zur Musik erdachten Tagtraum entstehen könnten.

Waches, ehrliches Pas de Deux

Eingeleitet wird dieses Experiment mit einem Eröffnungsmonolog, feinfühlig vorgetragen von Performer Conrad Ahrens. Er macht die Zuschauenden sensibel für all die Geräusche, die uns selbst in vermeintlicher Stille umgeben. Dann setzen die zarten Klänge von Arvo Pärts „Spiegel im Spiegel“ ein. Tänzerin Erica D´Amico spürt genau nach, zu welchen Bewegungen sie die Musik verleitet. Chris-Pascal Englund-Braun kommt dazu und gemeinsam spinnen sie ein fragiles und rücksichtsvolles, aber auch sehr waches und ehrliches Pas de Deux. Es ist spürbar, dass hier auch mit Improvisation gearbeitet wird, daher kommt die Ehrlichkeit. Die Performenden treffen sich immer neu, handeln die Begegnung und die Berührungen im Moment aus. So wird das Ganze romantisch, ohne kitschig zu sein.

Plötzlich bricht ein Platzregen auf der Bühne ein. Geräuschkulisse und Videoprojektion erinnern sehr an das Wetter, das gerade noch draußen vor dem Theater herrschte. Noch so ein Zufall? In diesem Regen, der sich langsam zu John Cages Komposition „in a Landscape“ formt, begegnen sich Amie Georgson Jammeh und Conrad Ahrens auf der Bühne wieder und wieder, bis auch bei ihnen eine tänzerische Beziehung entsteht. Diese wird durch ein Wechselspiel aus Verbundenheit und Alleinsein geleitet, die magnetische Anziehung zur anderen Person steht im Kontrast zum Wunsch, für sich zu sein.

Durch die letzte halbe Stunde der Performance leitet uns Steve Reichs: „six pianos“. Jetzt lösen sich die Tänzer*innen aus den Zweier-Beziehungen und kommen im Kollektiv zusammen. Grund dafür ist, wie könnte es anders sein: die Musik. Chris-Pascal Englund-Braun scheint vom Rhythmus wie infiziert zu sein, seine Extremitäten entwickeln ein Eigenleben. Damit steckt er auch die anderen Performenden an. Es ist spannend zu beobachten, wie jede Person die Musik in ihrem Körper unterschiedlich übersetzt. Dieser Freiraum zieht sich durch das ganze Stück. Alle interpretieren die Musik in ihrer eigenen Bewegungssprache, trotzdem lässt sich ihre Verbundenheit klar erkennen. Sie sind unterschiedliche Stimmen im selben Musikstück.

Und dann setzt der Bass ein. So wird Steve Reichs minimalistisches und kurioses Stück zu einem mitreißenden Track, bei dem auch große Teile des Publikums nicht mehr stillsitzen können. Es entsteht eine sich wiederholende Bewegungsabfolge, die mit dem Rhythmus spielt und sich von ihm leiten lässt. Es ist eine Feier von sich bewegenden Körpern, die mit der Musik und dadurch zu einem Kollektiv verschmelzen. Das Ganze bekommt einen Rave-Charakter, der hypnotische Wirkung hat. Leichtigkeit, Energie und Freude werde im Raum generiert und übertragen sich auf die Zuschauenden, sodass die Einladung zum Mittanzen am Ende des Stücks sehr natürlich kommt.

Das Stück ist im Hier und Jetzt verankert, alle Performenden gestalten das Experiment in jedem Moment mit. Es lebt, ganz wie im Titel versprochen. Auch der Begriff Tanztheater passt perfekt: Es bewegt sich mühelos zwischen Abstraktion und schauspielenden Elementen hin und her, wird manchmal erzählend und bebildernd und lässt an anderen Stellen mehr Spielraum für Interpretation. Das wird mit lautem und langanhaltendem Applaus belohnt.

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