Forward Dance Company: „Opening“ von Mirjam Gurtner auf dem Kunstfest Weimar

Kämpfende Kunst

Das Kunstfest Weimar eröffnet mit der Forward Dance Company und will wissen: „Wofür wir kämpfen“

Großer Bahnhof für die Forward Dance Company auf dem Weimarer Theaterplatz. Unter den steinernen Augen von Schiller und Goethe und den wachen Augen hunderter Besucher*innen eröffnen sie das Kunstfest Weimar unter freiem Himmel. Der Titel ist eingängig: „Opening“

Weimar, 22/08/2024

„Nutzen Sie Demokratie und Freiheit“, ruft die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial dem Publikum auf dem Weimarer Theaterplatz zu. Die Ausstellung zu Memorial „Das andere Russland“ ist noch bis zum 6. Januar 2025 im Bauhaus-Museum zu sehen. Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung Carsten Schneider mahnte zuvor bereits: „Genießen Sie die Freiheit der Kunst!“ Und so ward das diesjährige Kunstfest Weimar kämpferisch eröffnet und mit dabei die Leipziger Forward Dance Company, die zur feierlichen Eröffnung den Theaterplatz rund um die steinernen Kulturgiganten Goethe und Schiller mit ihrer Performance „Opening“ bespielen. Choreografie führt Mirjam Gurtner, und das erklärte Ziel ist eine Dekonstruktion von Carl Orffs „Carmina Burana“, diesem mystisch-pompösen Chorwerk mit seinem fast schon popkulturellen Eröffnungschor „O Fortuna“.

Bis allerdings diese enigmatischen Chorrufe in den elektronisch verfremdeten Arrangements von Ashley Alexandra Wright über den Platz schallen, vergeht gut eine halbe Stunde, in der sich die inklusive Company zu anderen Orff-Wright-Kompositionen den Platz erobert. Auf den hat Ulysse Fontaine eine Rampenbühne gestellt, die ein wenig an Laufsteg, ein wenig an eine flächige Skulptur erinnert. In weiß schillernden Kostümen von Julia Bosch und Glitzerelementen erobern die sechs Tanzenden den Raum um das zentrale Steindenkmal. Sie schwärmen aus, kommen zusammen, mal gibt es kurze Freezes, und der ganze Abend entwickelt sich zu einem Wechselspiel von individueller Freiheitssuche. Über Kontaktimprovisationen von zweien, dreien oder allen geht es durch den Abend, immer gepeitscht von den meist dunklen Beats der Musik, die sich über den Platz ergießt. Immer wieder verschwinden die Performenden zwischen den Zuschauenden, die sich in dicken Trauben um den Platz verteilt haben, darunter ganze Familien. Dann geht es die Rampen rauf und auf dem Laufsteg weiter. Die Tänzer*innen werfen sich aufeinander, übergeben sich wie Päckchen, oder alle verteilen sich, und auf den Ruf von „Falling“ fangen sie sich gegenseitig auf.

Solidarische Individuen

Wie kann ein Gemeinwesen von Individuen, die alle ihre Freiheit als das Höchste ansehen, dennoch solidarisch funktionieren? Die Antwort hier ist Achtsamkeit und Aufmerksamkeit. Davon erzählt der Abend in seinen Bildern immer wieder, so dass er eher einen Zustand denn eine Entwicklung anbietet. Keine Utopie, sondern praktisches Gleichnis. Zumal der Theaterplatz, in dessen Theater immerhin die Weimarer Verfassung von 1919 erarbeitet wurde, ja ein historisch mehr als aufgeladener Ort ist. Die Company setzt auch hier ihre Aufführungspraxis an solchen Orten wie dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal oder dem deutschen Pavillon in Venedig fort.

Allerdings bleibt auch zu konstatieren, dass es Choreografin Gurtner weniger als anderen gelingt, aus den unterschiedlichen körperlichen Möglichkeiten der Company Funken zu schlagen. Zwar gelingt, es Alfred Quarshie, der mühelos zwischen Rollstuhl und Krückstöcken wechselt, kraftvoll dabei zu bleiben, aber die Rollstuhlfahrerin Lisa Zocher wirkt doch einige Mal etwas verloren auf dem großen Platz oder der steilen Rampe, die sie nicht selbstständig bewältigen kann. Das hat man in der Vergangenheit schon austarierter gesehen, wobei natürlich diese Form des Straßentheaters eine andere Größe der Form verlangt als die kammerspielartige Nähe im Leipziger Lofft, wo die Company sonst beheimatet ist.

Schauspiel-Dinosaurier und Taiwan Schwerpunkt im Programm

Aber sie haben das Kunstfest erfolgreich und eindrucksvoll eröffnet, bevor Eva Mattes und Roberto Cuilli in der Redoute Navid Kermanis „S wie Schädel“ als eine Art beckettsches Endspiel auf Europas Blick auf Afrika vom Stapel lassen. Zwei Schauspiel-Dinosaurier, die ihr ganzes Können auf ein kleines Textsammelsurium werfen und es erstrahlen lassen mit ihrer Kunst.

Das Kunstfest ist eröffnet, und sein Slogan „Wofür wir kämpfen“ wird jetzt bis zum 8. September 2024 mit Leben gefüllt werden. Unter anderem mit einem tänzerischen Taiwan-Schwerpunkt und De Keermaekers „Goldberg-Variationen“. Mittendrin sind dann die Landtagswahlen, und da werden die Wähler*innen zeigen, für welche Seite sie kämpfen. Immerhin das Kunstfest ist finanziell erstmal gesichert durch Stadt und Land. Nun kann die Kunst kämpfen und wirken.

 

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