Träume, Schatten, Motten
Euro-Scene IV: „Onironauta“, „Sphinctérographie/Deface“ und „The long shadow of Alois Brunner“
Zweimal Iran und ein ausgelassenes Tanzfest. Die 34. euro-scene in Leipzig startet mit drei Tanz-Überraschungen in seine aktuelle Ausgabe.
Festival, das kommt ja ganz augenscheinlich von Fest, also von Party und in diesem Sinne ist es ganz folgerichtig, dass die euro-scene in Leipzig gleich zum Start dreimal zu Partymomenten einlädt. Im Vorfeld wurde die Feierlaune allerdings überschattet von Diskussionen um Antisemitismus und die BDS-Kampagne gegen Israel, die letztendlich zum Ausladen „And here I am“ des Freedom Theatre aus Jenin geführt hat. Zum Start am 5. November aber, so will es Festivalleiter Christian Watty, soll nun gefeiert werden.
Große Party: „Ubuntu Connection“
Schon der Auftakt „Ubuntu Connection“, entwickelt von Raphael Moussa Hillebrand (der auch durch den Abend führt) und Jasmin Blümel-Hillebrand, lädt zur großen Party ins Schauspielhaus. Auf der Bühne steht die Band Sonic Interventions, die den Abend über live und improvisiert die Musik zu diesem Battle-Format beisteuert. „Ich bin durch dich“, lautet das Motto. Auf der Bühne treffen renommierte Breaker auf Flamenco, Ballett, Zeitgenössisches und Pole-Dancing.
Acht Tänzer*innen (Anna Castillo, Anna Shvedkova, Alessandro Ottaviani, Blackpearl, Candyman, Exocé, Lukas Steltner, Monica Barbotte ) stellen sich zunächst in kurzen Solo-Nummern vor, um dann gegeneinander anzutreten: erst in Zweier-Teams, dann vier gegen vier im großen Finale. Allerdings, Gewinner*innen gibt es keine – oder eben alle. Es geht vielmehr um die große Gemeinsamkeit, um das gegenseitige Kennenlernen, die Ubuntu-Connection.
Das Konzept, das es vor zwei Jahren schon mal in der Schaubühne Lindenfels zu sehen gab, trägt tatsächlich über den Abend, auch wenn die Steifheit des Schauspielhauses hier und da etwas Energie aufsaugt. Trotzdem sind Publikum und die Aktiven auf der Bühne gleichermaßen euphorisiert.
Private Feier in Teheran: „basis for being نرگس“
Viel kleiner und weniger rauschhaft ist da Sina Saberi mit seiner Reminiszenz an die Teheraner Hausparties der 1990er Jahre. „basis for being نرگس“ hatte im Mai auf Kampnagel Premiere und ist jetzt im Lofft im Rahmen des Festivals zu sehen. Saberi ist 1988 im Iran geboren, lebt aber im Exil in Deutschland.
Auf der Bühne ist der Tänzer in seinem weißen, flatternden Hemd zunächst alleine. Ein Lichtstrahl taucht auf, zugleich drückt ihn ein unsichtbares Druckfeld nieder. Mit minimalen Mitteln erschafft Saberi so aus dem Nichts große Assoziationen, die zwischen persönlichen und politischen Feldern munter oszillieren. Und immer, wenn man meint, es oder zumindest etwas gegriffen zu haben, verschiebt er gekonnt die Register.
Im Laufe des Abend holt er sich aus dem Publikum, das im Viereck um die Bühne sitzt und zu Beginn – wir sind ja auf einer Teheraner Party – mit Tee, Plätzchen und Obst versorgt wurde, weiter Tänzer*innen auf die Bühne. Da ist etwa ein Typ in einer Art Kimono. Zärtliche Bewegungen miteinander wechseln sich ab mit brüsken, ja gewalttätigen Zusammenstößen. Die beiden ringen miteinander, vielleicht ist es auch Judo, auf jeden Fall löst sich das erste, anscheinend klare Bild der im Iran unterdrückten Homosexualität bald auf, und stattdessen erzeugen die beiden Tanzenden einen Strom von Andeutungen, der Sport und Brüderlichkeit ebenso zu Optionen werden lässt. Eine meisterhafte Auffächerung des Feldes, das den ersten Eindruck unmittelbar hinterfragt. Saberi braucht keine Setzungen, sondern es sind gerade diese fluiden Strategien, die an diesem Abend bei aller Ruhe die Erlebnisse evozieren und die Zuschauer emotional davontragen.
So wird eine Szene mit einer Tänzerin, erst zur freudigen Party, dann zum scheuen Flirten, bei dem sich sich kaum berühren (im Gegensatz zur rein männlichen Szene), bis hin zur gemeinsamen Flucht. In einer anderen Szene tanzt er in einer einfachen Schritt-Step-Kombination über die projizierten Linien auf dem Boden, und geradezu unmerklich wird die Kombination immer raffinierter in Rhythmik und Schrittfolgen. Ein altes Video gibt zudem Einblicke in eine echte Hausparty aus jener Zeit, und man sieht (vermutlich) den sehr jungen Saberi, wie er seine ersten Tanzschritte mit den passenden Handbewegungen aus dem orientalischen Tanz macht.
Dazu gibt es elektronische Musik, mal drohend, mal hämmernd und immer wieder auch durchsetzt von iranischem Pop, zu dem am Ende alle auf der großen Bühne tanzen dürfen. Ein ebenso minimalistischer wie ausufernder Abend, der die eigenen Bilder im Kopf vom Iran und seinen Menschen auf emotionale und spannende Weise hinterfragt – und das bei einem leckeren Tee.
Festival im Iran: „Shiraz“
Auch der dritte große Festmoment zum Start kommt aus dem Iran. Der mittlerweile in Berlin lebende Armin Hokmi erinnert in seinem Stück „Shiraz“ an das Festival, das zwischen 1967 und 1977 im gleichnamigen Ort im Südwesten des Iran stattfand und Größen wie Bob Wilson, Peter Brook, Karl-Heinz Stockhausen oder John Cage zu seinen Gästen zählte. Die vier Tänzerinnen und zwei Tänzer sind eine Art Echo auf diese Zeit, Schatten einer Idee des Austausches und der Avantgarde.
Bereits zu Beginn dröhnen die Elektrobeats von EHSXN und Reza R über die grell ausgeleuchtete, weiße, leere Bühne in der Schaubühne Lindenfels. Alle halten eine Hand auf Gesichtshöhe und trippeln unmerklich über die Bühne, treffen sich oder auch nicht, formieren sich zu Grüppchen, trennen sich wieder. Manchmal gibt es klar definierte Freezes, dann wieder wie aus dem Nichts eine eindeutige synchrone Bewegung. Die Körperhaltungen, die Schritte verändern sich, zitieren anderes. Man mag einen Hauch Ballett erhaschen, orientalische Anmutungen oder auch eine Line-Dance-Nummer. Die Musik spiegelt diesen Strom durch die Genres, das Licht wechselt irgendwann abrupt in eine rötliche Abend- oder Morgenstimmung, um dann die Sonne aufgehen zu lassen.
Hokmi baut mit seinen Tänzer*innen eine perfekte Tanzmaschine. Jeder Move sitzt, jede Synchronität, die Raumaufteilungen, das langsame Verwirbeln und Trennen, ein Bewegungsstrom.
Doch über die Länge der Perfomance wirkt das Ganze arg hermetisch und überkonzeptualisiert. Eine Spur zum Ursprung, zum Shiraz ergibt sich im Grunde nicht, sondern bleibt schöne Behauptung. Sicher ist dieser Abend aus der Beschäftigung mit dem Material entstanden, doch die wunderschöne, perfekte Abgezirkeltheit liest sich wie die Idee einer Idee zu einer Idee, in welcher der Weg zum Ursprung längst verschollen ist. Ein Abglanz, ein Nachhallen, kurz vor dem endgültigen Verschwinden im Nirvana des Ungewissen. So versandet der Abend zwar nicht in Beliebigkeit aber doch einer merkwürdigen Unbestimmtheit dieses hermetischen Schaukastens von Tanztechnik.
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