In der Hamburgischen Staatsoper triumphierte das Hamburg Ballett mit „La Bayadère“ nach Marius Petipa zur Musik von Ludwig Minkus. Natalia Makarova – einst gefeierte Kirov-Ballerina und legendäre Interpretin der „Tempeltänzerin“ in Russland und Amerika – inszenierte und choreografierte das indische Liebesdrama um Nikija (Heather Jurgensen) und den ungetreuen Krieger Solor (Jiri Bubenicek) im malerischen Dekor und in den farbenprächtigen Kostümen ihrer Produktion für das Londoner Royal Ballet.
Zum Höhepunkt wurde „Das Königreich der Schatten“ im zweiten Akt, in dem die 24 Damen des Corps de ballet mit einer schier endlosen Kette von Arabesken unterm Vollmond die Zeit anzuhalten schienen. Der Herausforderung durch den klassisch akademischen Stil der russischen Schule, Makarovas musikalischen, langsam fließenden Bewegungsstil in den Adagios zeigten sich die Solisten ebenfalls gewachsen: Szenenbeifall und Jubel beim langen Schlussapplaus belohnten den wochenlangen Drill der sonst überwiegend John Neumeiers modernere Kreationen tanzenden Compagnie.
Der Hamburger Ballettchef wollte seinem Ensemble ein Geschenk machen – und natürlich auch dem genusssüchtigen Publikum. Das ist ihm vollends gelungen. „La Bayadère“ – bis zu den Kirov-Gastpielen anfangs der Sechziger im Westen unbekannt – gehört zu den Klassiker-Bravourstücken, ist erstmals in Hamburg zu sehen und boomt derzeit auch auf anderen Opernbühnen: Am selben Abend feierte in der Berliner Staatsoper „Unter den Linden“ Vladimir Malakovs Wiener Fassung (1999) dieses orientalischen Tanzmärchens Premiere. Die neue „alte“ Kirov-Version von 1900 ist, nach Gastspielen in Paris und New York, demnächst auch in Baden-Baden zu sehen.
Goldene Agraffen und bunte Klunker blitzen verschwenderisch, die Seide der Pfauentütüs raschelt und Federn wippen über geschlungenen Turbanen. Als ob man in ein Buch mit Gemälden aus dem 19. Jahrhundert blickte: Die Reise nach Indien ist pure Fantasie, das Drama um Liebe, Eifersucht und Mord, um Sünde und Sühne durch die göttliche Rache ein ewiger Mythos.
Pier Luigi Samaritani (Bühne) und Yolanda Sonnabend (Kostüme) haben sich durch Historienmaler zu ihrer üppigen Ausstattung inspirieren lassen, die sich die Hamburger nur mehr als Leihgabe von London leisten können. Anna Polikarpova brilliert – so pompös wie präsent – als eiskalte Gegenspielerin Gamsatti mit makelloser Kirov-Perfektion, Heather Jurgensen, eine wunderschöne Tempeltänzerin, zeigte noch nie so wundervolle „Schlangenarme“, meistert auch Pas de deux und Walzervariation im zweiten Akt mit Bravour. Denn das Nirwana von Ludwig Minkus dreht sich im Dreivierteltakt, und die halb nackten Fakire wirbeln beim Hindu-Tanz zur Polka. Musikalisch entführt der Komponist in die österreichische k.u.k.-Monarchie.
Dirigent André Presser und das unter ihm spielende Philharmonische Staatsorchester bedienen schwungvoll und präzise das Kurkonzert-Geklingel zu Spitzentanz und virtuosen Sprungkombinationen. Jiri Bubenicek beflügelt der Opiumrausch im zweiten Akt zu traumsicheren Grand jetés in Panther-Eleganz. Der junge Armenier Arsen Megrabian katapultiert sich als Bronze-Idol direkt in die Gunst des Publikums. Und Ivan Urban zeigt imposante Würde als Brahmane. Die hohe Tanzkunst streift jedoch mehr als einmal den Rand des Kitsches. Trotzdem bleibt unbestritten: Kein Ballett-Fan darf sich Makarovas „La Bayadère“ entgehen lassen.
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