Lucia Lacarras Debut als Raymonda

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München, 08/10/2002

Drei neue Principals beim Bayerischen Staatsballett in den drei Hauptrollen der „Raymonda“-Produktion von Ray Barra aus dem letzten Jahr – und dazu noch ein neuer Dirigent: Valeri Ovsianikov. Die Vorstellung allerdings bleibt um Klassen hinter der Premiere zurück – alles erscheint gedämpft, gesoftet, der diamantene Glanz, gerade auch der Musik Glasunows, wie hinter einer Milchglasscheibe verschwimmend.

Die Dramaturgie, schon im Original reichlich schwachbrüstig, gibt sich weiter aufgeweicht und dringend der nachträglichen Einziehung stützender Korsettstangen bedürftig – die paar aktionistischen Momente (Raymondas Unentschiedenheit, das Abwägen zwischen Brautschleier und offenbar exotischem Parfümzweig, die Konfrontierung von Jean de Brienne und Abderachman, ihr Zweikampf ...) wirken reichlich gestelzt und hölzern. Immerhin die Münchner Tänzer, die Solisten der zweiten Reihe und das Corps, inklusive Sherelle Charge als spukende Weiße Dame, machen ihre Sache ordentlich, auch die reichlich operettenhaften Heiducken des Abderachman-Gefolges, doch die entschieden an theatralischer Blutarmut krankende Produktion kommt nicht recht in Schwung, läppert sich hin, der häufige Zwischenbeifall kommt eher tröpfelnd, verfehlt seine Wirkung als stimulierender Energieschub.

Lucia Lacarra, Spanierin von Geburt, Jahrgang 1976, nach Roland Petits National Ballet de Marseilles bei Helgi Tomassons San Francisco Ballet wie ein Superstar gefeiert, mit einem weiten Rollenspektrum (eine ihrer besten Rollen hatte sie angeblich als Novizin in Robbins‘ „The Cage“), Spaniens Antwort auf Guillem und Khalfouni, ist sicher eine hochvirtuose Technikerin (besonders gerühmt in Victor Gsovskys „Grand Pas classique“), aber als Darstellerin noch allzu vorsichtig, ja manieriert – ein künstliches Wesen, ohne sonderliches Charisma – da ist München seit den Zeiten Konstanze Vernons ein ganz anderes dramatisches Kaliber gewohnt.

Sie ist verheiratet mit Cyril Pierre, Jahrgang 1972, auch er schon in San Franciso ein Principal und gerühmt als Othello in Lubovitchs Abendfüller, der indessen kaum begreiflich macht, was denn Raymonda an ihm so viel erotischer findet als an ihrem Bräutigam – in der Rolle des Abderachman nicht entfernt so heißblütig sexy wie Münchens Erstbesetzung Armilcar Moret Gonzales. Zunächst eher chiffrehaft und unpersönlich der von der Regie und Choreografie her allzu anonym belassene Jean de Brienne des offenbar noch sehr jungen Roman Lazik – doppelt benachteiligt durch sein ganz und gar unmögliches Kostüm, das schleunigst geändert werden sollte – der dann aber, nach bestandenem Kampf gegen Abderachman – mächtig zulegt und sich, endlich vernünftig angezogen, als echter Strahleprinz und formidabler Techniker erweist und mit seiner Solovariation die bis dahin eher vor sich hin schwelende Glut der Vorstellung zu kurz aufloderndem Feuer entfacht.

Zwei Tage nach Salzburg vermisse ich bei den Münchnern das heißblütige dramatische Engagement – die Münchner tanzen wie wohlversorgte Staatsbeamte, die Salzburger mit existenzieller Überlebensentschlossenheit.

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