Wo der Tanz zugemüllt wird von Sprache
Neue Ballette von Wayne McGregor, Nicolo Fonte und Christian Spuck
Fällt es den modernen Choreografen wirklich so schwer, sich allein durch Bewegung auszudrücken? In „Tanzsichten III“, dem neuen Uraufführungsabend des Stuttgarter Balletts, wird ohne Unterlass geredet, in allen drei Stücken. Zweimal gehört der Text bereits fest zur Musik, da wollte Haus-Choreograf Christian Spuck wohl nicht zurückstehen und lässt im dritten Werk des Abends seine Tänzer auch noch gegen das volle Orchester anschreien. Serviert wird im Opernhaus drei Mal Minimal Music mit maximal Text - rein musikalisch ist es ein faszinierender, stringenter Abend, den James Tuggle und das Staatsorchester samt fünf Sängern engagiert begleiten. Mit den fetzigen, mitreißenden „Fearful Symmetries“ von John Adams hat man eigentlich schon gewonnen. Das haben vor Christian Spuck bereits 16 andere Choreografen erkannt, unter ihnen Jean-Christoph Maillot, dessen Ballett „Vers un pays sage“ auf die gleiche Musik erst 1999 im Stuttgarter Repertoire war.
Besondere Originalität bei der Musikauswahl kann man Christian Spuck also nicht unterstellen (wir schlagen als nächstes den „Bolero“ vor), aber ein Handlungsballett hat wahrscheinlich noch niemand daraus gemacht. Und ganz gewiss kein so chaotisches wie Spucks „..., la peau blanche...“. Ein Maler stellt das berühmte Bild „Gabrielle d'Estrees und eine ihrer Schwestern“ nach, in dem eine nackte Dame einer anderen Nackten mit spitzen Fingern an die Brust fasst. Das Geheimnis um den Tod dieser angefassten Dame versucht nun Eric Gauthier alias Hofmaler Vignac detektivisch zu lösen (was im Krimi „Die Purpurlinie“ von Wolfram Fleischhauer vor wenigen Jahren bereits ausführlich vorgedacht wurde). Spuck entfesselt dazu ein hektisches Springen, Drehen und Beinewerfen, scheucht zehn Hauptpersonen und ein großes Corps de ballet herum, weder linear erzählend noch grotesk genug verfremdend. Die fahrbaren Tische aus „Lulu“ sind zu fahrbaren Wänden geworden, die Bewegungen sind exakt die gleichen geblieben.
Der Stuttgarter Haus-Choreograf formt die heruntergefallenen Krumen seiner „Lulu“ zu einem neuen Kuchen und ähnelt sich selbst dabei so stark, dass es eigentlich kein Stil mehr ist, sondern eine Masche. Vielleicht gewinnt man deshalb den Eindruck, als wären die wunderbaren Qualitäten der Stuttgarter Tänzer in dieser Hektik schlichtweg verschenkt: Jason Reillys wilde Attacke, Mikhail Kaniskins Eleganz, Bridget Breiners Intensität (die Arme muss wie eine Krake an Krücken herumschwanken), Katja Wünsches moderne Mädchenhaftigkeit. Eric Gauthier muss jede Menge deutsch und französisch reden, seine ständige tänzerische Unterforderung macht sich aber langsam in einer gewissen Behäbigkeit bemerkbar.
Ums Glücksspiel geht es in „Gambling, x 5“ von Nicolo Fonte. Der New Yorker Choreograf ist der einzige neue Name des Abends, er zeigt zu fünf Abschnitten aus Gavin Bryars' „A man in a room, gambling“ fünf abstrakte Episoden, zusammengehalten von der Metapher des Wartens - ganz hinten rechts sitzt immer wieder ein anderer der zwölf Tänzer auf einem Stuhl. Mag sie auch nicht mit originären Ideen aufwarten, so sorgt Fontes weit atmende, groß ausholende Choreografie doch für eine Abwechslung im coolen, meist Forsythe-geprägten Idiom der letzten Stuttgarter Uraufführungen. Immer wieder finden sich die Tänzer zu Dreiergruppen, Fontes Sinn für Atmosphäre und für den weiten Raum passt zur sparsamen, geheimnisvollen Musik von Bryars. Die im Text geschilderten Kartentricks bleiben atmosphärische Untermalung und finden keine direkte Entsprechung.
„Dolly“ war der Name des ersten geklonten Schafs, nach ihm hat der Minimal-Music-Vordenker Steve Reich den dritten Teil seiner Trilogie „Three Tales“ benannt, in dem er Zitate von Gen-Forschern und Kybernetikern über den künstlichen Menschen zusammenmontierte. Der britische Choreograf Wayne McGregor vollzieht dazu in „Eden | Eden“ die Schöpfung nach, klont unter dem zarten Symbol eines echten Bäumchens einen Menschen nach dem anderen, ununterscheidbare Adams und Evas mit ihren kahlen Köpfen und den fleischfarbenen Trikots. Auf der nachtschwarzen Bühne testen sich die seelenlosen Laborgeschöpfe nun aus, winden sich wie weiße Würmer, wie ziellose Roboter mit Gummigelenken, ein beängstigender Anblick. McGregor entmenschlicht den Körper, entleert ihn von jeglicher Regung und Wärme, macht ihn zur perfekten Maschine; durch die Beleuchtung schimmern die weißen Körper der Tänzer als wären sie aus Silikon. Und es ist wirklich unglaublich, wie brillant sich die Stuttgarter Tänzer auf diese künstliche, maschinenhafte Bewegungssprache einlassen, vor allem Alexander Zaitsev, Friedemann Vogel, Evan McKie, Diana Martinez Morales und Alicia Amatriain.
Das Stück mag nur als ein weiterer Höhepunkt der abstrakt-virtuosen, technikorientierten Choreografien erscheinen, die Ballettchef Reid Anderson so gerne präsentiert, aber McGregor choreografiert nicht einfach virtuos, sondern macht die Seelenlosigkeit und die maschinenhafte Perfektion selbst zum Thema. Dabei laufen Text und Tanz bei ihm wirklich kongruent und ergänzen einander an wesentlichen Stellen - oft so erschreckend, dass es einem kalt über den Rücken läuft.
Premiere am 7.4.2005
Link: www.stuttgart-ballet.de
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments