Zwischen Traum und Trance
Sankai Juku aus Japan eröffnet im Haus der Kulturen das Festival „In Transit“
Leni-Basso Dance Company/Japan & Chelyabinsk Theatre of Contemporary Dance/Russland
Zum vierten Mal seit 2000 treten derzeit Musiker, Tänzer, Sänger, Videokünstler und Wissenschaftler aus Afrika, Asien, Europa und den beiden Amerikas mit ihren neuen Arbeiten in einem Festivalmarathon an die Öffentlichkeit. Wie reflektiert die junge Kunst die existenziellen Fragen der heutigen Zeit? IN TRANSIT versucht Dialogformen jenseits des eurozentristischen Austausches in einer Welt extremer sozialer Unterschiede und rasanter Umbrüche.
Wenn sich am Schluss der Eröffnungsperformance im Foyer die diesjährigen Kuratoren Sängerin und Komponistin Liu Sola/China und der Tänzer-Choreograf Koffi Koko/Benin mit Trommlern durch die Zuschauer marschierend auf den Weg machen, so laden sie symbolisch zur Teilnahme am Diskurs über „Heimat, Nation, Identität“ ein. Das HdKW ist derzeit Plattform für 160 Künstler aus vierzehn Ländern. Festivalschwerpunkte innerhalb der 62 Aufführungen sind neue Arbeiten aus Afrika und Japan (ergänzt durch Gesprächsforen zum zeitgenössischen Tanz).
Als erste der acht Welt- und Europapremieren präsentierte die Leni-Basso Dance Company/Japan (1994 gegründet) unter der künstlerischen Leitung von Akiko Kitamura „Ghostly Round“. Diese Uraufführung der jungen Tokioer Tänzerin und Choreografin konfrontiert das Publikum mit einem raffiniert im Raum zelebrierten Bewegungspuzzle von hoher Abstraktion. Perfekt zelebrierte Bilder, die den Zuschauer zum rätselnden Betrachter machen, ohne ihn einzubeziehen. Bruchstücke über die Flüchtigkeit der eigenen Existenz, den Verlust von Identität. Faszination und Irritation. Ein erschreckender Blick in die Zukunft einer sich extrem beschleunigenden Gesellschaft, die das Individuum in den Überlebensritualen der Masse auslöscht, die den einzelnen Körper permanent beschädigt, zerhackt, zu Boden wirft. Fünf Frauen und drei Männer, weiß gewandet wie Samurai, schreiten durch das weiße Rund imaginärer Türen innerhalb der Blackboxbühne und agieren siebzig pausenlose Minuten in einem kreisförmigen Magnetfeld aus Kreide und Licht.
Ein tänzerisches Geschehen wie im Laborversuch - explosiv, virtuos, kühl, verstörend, meditativ. In die Stille brechen ständig wechselnd ostinate Rhythmen, hämmernd, in befremdlich hohen Frequenzen, mal grunzend, schnaubend, röchelnd. Sie initiieren und begleiten Körpereruptionen der Un-Toten, die willenlos in immer neue Arrangements getrieben zu werden scheinen. Sie schwingen ihre Körper, ruckartig bäumen sich ihre Arme und Beine, wie von Stromstößen durchzuckt vibrieren ihre Glieder, manchmal verweigern sich ihre Köper dem Bewegungssog von Musik, Licht und Raum.
Doch stets blitzen in diesen rasanten Folgen einer permanenten erschreckenden Vereinzelung merkwürdig irritierende Momente der Liebkosung, der körperlichen Nähe auf. Zwei Frauen halten sich bei den Armen, ein Streicheln im Vorbeihetzen, ein Blick. Doch ihre Hände können nie jemanden festhalten, Paare verlieren einander immer wieder. Gesten einer verlorenen Existenz.
Ein Mann und eine Frau berühren einander plötzlich mit den Rücken, eine andere Frau trennt beide, lässt sie Aufstellung nehmen und muss die langsam in sich zusammenfallenden Körper immer wieder in Stellung bringen. Während sie diese Körperhüllen abrichtet, werden Gitterstäbe auf das weiße Rund projiziert. Vergnüglich und ernst zugleich der mehrfach zum Scheitern gebrachte Versuch eines Mannes aus dem Rhythmus der Menge auszubrechen und eigene Wege zu gehen. Escape impossible. Das Trio fängt ihn stets ein, in dem es ihm einen Gruppenrhythmus aufzwingt. Kitamuras „Ghostly Round“ - nicht nur ein Stück über gesprengte Bewegungsmuster und das Leben im Stakkato der Megapolis Tokio.
Auch Olga Ponas gänzlich anders geartete Zustandsbeschreibungen orten Menschen in sozialen Verhältnissen. Die Diplomingenieurin für Traktorenbau gründete 1992 in der Stahlmetropole im Südural das Chelyabinsk Theatre of Contemporary Dance. In ihrer Choreografie „Staring into Eternity“ (2003) für sechs Männer und zwei Sänger bewegt sich nichts mehr. Männer, die in ihren ausgebeulten Anzügen auf Hockern sitzen, wartend vor sich hinstarren, in gleichen Posen Aufstellung nehmen, kurzzeitig übermütig miteinander rangeln oder einander demütigen, dann aber wieder zurück in die endlosen Posen des Wartens und des Schlafens fallen. Die emotionslos live gesungenen Volkslieder einer toten Vergangenheit erreichen sie nicht mehr. Männer, jung, kräftig, zum Warten verdammt. Mit kalten, leeren Blicken schauen sie lange ins Publikum, ehe der Lichtschein auf ihren Gesichtern verlischt. Dunkelheit. Russische Provinz 21. Jahrhundert - Wartesaal, Arbeitsamt, Straße. Bleierne Zeit.
„Nostalgia“ (2005) zelebriert bedeutungsschwanger unmotivierte Aktionen im ewigen Auf und Ab junger Leute als schaukelnde Junkies im kahlen Birkenwald, die nach dem Wohin fragen, aber an keine Bewegung mehr glauben. Doch Olga Ponas Arbeiten fehlt die inszenatorische Vertiefung, die Protagonisten bleiben Schemen, entindividualisiert, merkwürdig, da bis zur Hochmütigkeit entrückt vom Zuschauer, ungenau in der Spielweise, eingeschränkt im bemüht modern wirken wollenden Bewegungsvokabular und Videoeinsatz.
In die Diskussion um den Menschen in unserer Welt mischen sich in den nächsten Tagen neue Tanzschöpfungen aus Tunesien, Indonesien, dem Kongo, Burkina Faso, Mali und Japan. Für den Altmeister des Butoh, Akira Kasei, dessen „Luftspieglung“ (Musik: Lutz Glandien) mit einer internationalen Tänzergruppe aus Berlin am 15. Juni seine Weltpremiere erleben wird, beschwört Tanz „den sichtbaren und den unsichtbaren Körper, der nur durch Fantasie spürbar ist“.
IN TRANSIT bis 18. Juni 2005 Haus der Kulturen der Welt Berlin
Info + Tickets 030 - 39787175
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