Bunga bunga
„Platzregen / Eine Entfernung zu Peter Handke“ uraufgeführt im Theaterhaus Stuttgart
Um interessante Titel ist er nie verlegen, der Stuttgarter Choreograf Fabian Chyle. „Nowhere noverre“, also „nirgendwo Noverre“, heißt ein weiterer Teil seines dreijährigen Performance-Projektes „Multiple Choice“, das sich vor allem im Internet abspielt und immer wieder auch auf Stuttgarter Bühnen, dieses Mal im Theaterhaus.
Jean-Georges Noverre, unter Herzog Karl Eugen dereinst Begründer der Stuttgarter Balletttradition und von seinen Zeitgenossen auch „Shakespeare des Tanzes“ genannt, gilt als Vorkämpfer des klassischen Handlungsballetts und ist damit so eine Art natürlicher Feind des zeitgenössischen Tanzes. Nur folgerichtig also, dass man hier seine Abwesenheit thematisiert. Mit der Umdeutung „now here, Noverre“ versucht die Dramaturgin Marty Huber im Programmzettel, den französischen Tanztheoretiker aus dem 18. Jahrhundert bei dieser Aufführung doch noch herbeizuschreiben. Eher vergeblich, denn eine Andeutung von Inhalt oder Aussage ist bei allem technischen Aufwand, bei aller Hingabe der drei Tänzer in diesem Stück nur schwer zu finden.
Selbst mit ein paar eingestreuten Zaubertricks, bei denen der Choreograf seine Tänzer aus dem Nichts erscheinen lässt, hängt über der siebzigminütigen Aufführung eine bleierne Ratlosigkeit.
Durch zwei hohe, drehbare Riesenleinwände, die gleichzeitig als Projektionsflächen dienen, ist die Bühne in drei Abschnitte geteilt. Der Einsatz von Filmbildern beschränkt sich auf flächige, abstrakte Strukturen – auf die Wände werden Wände projiziert, Nahaufnahmen von Mauersteinen etwa. Erst gegen Ende steht ein Tänzer seinem eigenen filmischen Ich gegenüber, das dann zu einem skizzenhaften Strichmännchen gefriert und sich – ein faszinierender Effekt – in einzelne Striche auflöst, die sich auf der Leinwand verselbstständigen. Auf Englisch erteilt eine Frauenstimme aus dem Off Anweisungen zu Ballettpositionen, die von den drei Tänzern Claudia Senoner, Sven Gettkant und dem 72-jährigen Jaap Flier, einem Gründungsmitglied des Nederlands Dans Theater, meist artig befolgt werden. Das im Programm angekündigte „Verlinken verschiedener Tanzsprachen“ aber findet nicht statt. Zwar sieht man immer wieder einzelne Ballettposen, aber in Sekundenbruchteilen gehen sie im einheitlichen Tanzbrei unter, der spannungslos die üblichen zeitgenössischen Bewegungen abspult. Es wirkt ein wenig so, als scheitere das ironische Spiel mit Ballett und Performance, die Zitaten-Collage von Alt gegen Neu am simplem Nicht-Beherrschen eines der beiden Idiome. Wesentlich origineller hört sich da die Musik von Oliver Prechtl an, der zwei Kompositionen des Belgiers Thierry de Mey für Saxofon adaptiert hat. Dazwischen schnalzen elektronische Walzerrhythmen und tröpfeln repetitive Schlaufen, bevor Saxofonistin Nikola Lutz wieder wie entfesselt loslegt. Zum Schluss lassen alle drei Tänzer feinen Staub auf den Boden rinnen – das pulverisierte Ballett, der Staub der Zeit, oder gar die Asche von Noverre?
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