Über Ziegen und andere Sündenböcke

Christoph Winklers „who by fire“ verglimmt in den sophiensaelen

Berlin, 28/11/2006

Auf gelb grundiertem Fußballfeld irren acht Darsteller umher, bis ein Dicker mit Schlips sie nach Schiedsrichterart ordnet. Sie werden abgezählt, stoppen sich gegenseitig in ihrem Lauf. Auf wen alle zufällig zeigen, der muss zu Boden. Schuld verteilt sich nach irrationalen Gesichtspunkten. Denn Christoph Winklers neue Produktion „who by fire“ für die sophiensaele zielt wieder auf Großes. Diesmal verhandelt er das Thema Sünde. „Über Mimese, Ziegen und andere Sündenböcke“ lautet der Zweittitel, den ein kenntnisreicher Traktat im Programmheft kulturgeschichtlich-philosophisch unterfüttert.

Um Ziegen geht es da, die in biblischer Ära der Menschen Schuld aufgeladen bekamen und in die Wüste mussten. Um mittelalterliche Zeitgenossen, die als Hexen oder Zauberer stigmatisiert und auf Bocksfüße untersucht wurden. Und, für uns Heutige näher, um sprichwörtliche Sündenböcke, wozu jeder taugt, der gerade nicht in ein herrschendes Konzept passt. Ein durchaus tragfähiger Ansatz für ein Stück Tanztheater. Winkler lässt seine Darsteller auf einem rasengrünen Teppich sich verrenken, angefeuert von sülzigen Sprüchen zweier Moderatoren. Gesucht wird nicht der neue Superstar, woran das Gehabe deutlich erinnert, sondern der neue Sündenbock. Der muss sich einen Tierpelz überstreifen und bekommt die Negativenergie der anderen übertragen. Dann kriechen drei Spieler wie Hunde umher, werden gestapelt. Auf diesen Haufen gelümmelt räsonieren zwei selbstgerechte Moderatoren über Sünde, geraten in Rage, schließlich in Streit mit einer Tänzerin, die zugibt, gesündigt zu haben.

Schnipsel und Fragmente um dieses Sujet reihen sich – meist verbal, selten tänzerisch – auch im Weiteren ergebnislos. Einer der Schauspieler kommentiert nicht ohne Spontanwitz eine Serie möglicher Sündenböcke von Jesus über Ami-Soldaten und Alte bis zu Mao, Minarett, Palast der Republik. Diese Heiligen und Parias initiieren die nächste Gesprächsrunde. Dazu wird ausgewertet, was die Zuschauer vorab als ihre persönliche Sünden-Definition auf Zettel geschrieben haben, derweil vier Girls über die Szene stakeln. Als Gewinn lockt eine Traumreise in die Wüste, deren Wonnen ein meditatives Experiment vorführt. Aus der Imagination wird böse Manipulation, rüdes Robben wie bei der Fremdenlegion, Menschenopfer mit übler Nachrede. Einen Exkurs ins Reich der Idole, um den Unterschied zwischen Wunsch und Begehren, brechen die Tänzer auf, rappend, breakend, und ein leiser Song zur Gitarre.

Unter Christoph Winklers gut 20 Solo- und Gruppenstücken seit 1998 weisen ihn nicht wenige als eminent kreativen Bewegungserfinder aus. Zwischendrin strauchelt er immer wieder im Dickicht überambitionierten Wollens. „who by fire“ jedenfalls ist der wohl dünnblütigste, allemal langweiligste Winkler seit Beginn seiner choreografischen Zeitrechnung.

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