„RechtsRadikal“ von Christoph Winkler. Tanz: Emma Daniel

„RechtsRadikal“ von Christoph Winkler. Tanz: Emma Daniel

Terror gegen den eigenen Körper

In den Sophiensaelen gerät Christoph Winklers „RechtsRadikal“ zu klein

Im 15. Jahr als Choreograf will Winkler für seine Reihe „Böse Körper“ einem ganzen Phänomen auf die Spur kommen. „RechtsRadikal“ fragt, weshalb sich zunehmend junge Frauen von gewalttätiger Ideologie vereinnahmen lassen.

Berlin, 04/05/2013

Mit seinem Solo „Baader – Choreografie einer Radikalisierung“ schlug Christoph Winkler alle Rekorde. Beispielhaft gelang es ihm damals, sichtbar zu machen, wie sich die Persönlichkeit eines Menschen und politisches Wirken ergänzen. Freilich ging es bei dem Tanzstück von 2011 „nur“ um eine Person, und die hat ihre Eigenschaften und Charakterzüge.

Im 15. Jahr als Choreograf will er für seine Reihe „Böse Körper“ einem ganzen Phänomen auf die Spur kommen. „RechtsRadikal“ fragt, weshalb sich zunehmend junge Frauen von gewalttätiger Ideologie vereinnahmen lassen. Dass die Premiere in den Sophiensaelen und der Prozess gegen Beate Tschäpe zusammenfallen, mag bei der langen Vorbereitung neuer Produktionen eher zufällig sein, erhöht aber die Brisanz. Grundfrage eines solchen Projekts muss sein: Was genau bedeutet „rechtsradikal“, was machen Rechtsradikale, Rechtsradikalität aus? Und wie lässt sich das in Tanz umsetzen? Anhand von vier jungen Frauen geht Winkler sein Thema an.

Die leere Szene wird dreiseitig von Geländern für Scheinwerfer umstanden. Über den Köpfen hängt eine Leinwand. In mattem Licht sieht man die vier Aktricen weit hinten stehen, während vom Band das Chaos von Demo und Gegendemo tönt. „Wir kriegen euch alle“, schreien die einen, „Nazis raus“ die anderen. Das Gegröle wird unverständlich, die Lage eskaliert. Unter diesem Lärm-Dom beginnt eine der Frauen zart zu tanzen, mit Ausfallschritt und raumgreifender Bewegung, hockt mit ausgebreiten Armen: Geste der Zivilisation, des Widerstands durch Tanz. Und wirklich, der Lärm entfernt sich. Ungeschützt den Blicken preisgegeben, ihren Blick jedoch ins Publikum, setzt sich die nächste Tänzerin auf den Boden, bis auch die letzten beiden auf eigene Art die Bühne betreten haben. Wie ruckhaft zerlegt die Bewegung ausfällt, liebevoll scheinen die Frauen einander verbunden. Skulptural werden ihre Posen, Streicherklang weht sanft darüber hin.

Doch die Aktivität entgleitet ins Verkrampfte, gehechelt wird und mit dem Armen gepumpt, etwas scheint Besitz von ihnen zu ergreifen; die mit dem lauten Atem synchronisiert die anderen. Bis im Video ein Streichholz aufflammt, sich ein Zug schwarz Gewandeter mit weißen Masken und Fackeln durch Gassen windet. Bedrohlich wirkt das kaum mit seinem Hauch von venezianischem Karneval, auch wenn das Spruchband lautet: Damit die Nachwelt nicht vergisst, dass du Deutscher gewesen bist. Auch die vier Tänzerinnen flirten provokant mit Masken, ziehen dunkle Jacken an, stülpen Kapuzen über, als posierten sie im Neonazi-Schick, formen sich zum Staffelbild. Die Bewegungsspasmen, die forschen Blicke in den Zuschauerraum, stehen sie schon für den Prozess einer Radikalisierung? Tatenlos lungern die vier herum, zwei halten sich an der Hand, als wollten sie sich gegenseitig Mut machen. Mit den Masken sind sie Chiffren einer entpersönlichten Allgegenwärtigkeit. Zwei von ihnen legen Maske und Blouson ab, steigen aus, zwei scheinen infiltriert und machen weiter, eine mit der Hand als Schusswaffe zielend, die andere sackt, den Mund dümmlich offen, in sich zusammen. Da bietet ein softer Song Schützenhilfe.

Vom Kind, das seine Träume verlor, Halt sucht, dessen Herz fürs Vaterland schlägt, erzählt er zu Gitarre. Direkter das Einspiel der kruden Rede eines NPDlers wider das Verbot seiner Partei: bloß Ablenkmanöver von der Krise, um Konkurrenz auszuschalten und eine um sich greifende Idee zu verbieten. Verkrümmter wird das Tun der Frauen, mit einknickenden und ausbeulenden Leibern, sinnlosem Haarewerfen, bisweilen verzweifelt kraftmeiernd. Wie gleichgeschaltet, fragmentiert, sinnentleert mechanisch spitzt sich der Tanz zu, ohne Bezug auch untereinander, bis drei Frauen aussteigen. Claire Vivianne Sobottka aber gerät außer sich: presst Töne, röchelt, keift, geifert, lässt die Bronchien pfeifen. Erst das verlöschende Licht befriedet sie.

Dem höchst gewalttätigen Phänomen Rechtsradikalität ist so kaum beizukommen. Hier wütet ein Mensch gegen sich selbst, was nicht die fatale Wirkung nach außen, auf Unschuldige erklärt. Winkler unterliegt nicht der Verlockung, plakativ zu werden, lediglich zu bebildern, was die täglichen Nachrichten bereits vermelden. Sein ästhetisierender, stilisierender Ansatz rechtfertigt indes kaum den summarischen Titel „RechtsRadikal“. Das Quartett aus starken Tänzerinnen macht den einstündigen Abend dennoch zum Gewinn.

Nochmals 6.5., 20 Uhr, Sophiensaele
 

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