Tanz und Musik
Fotoblog von Dieter Hartwig
Wie in einem Zeittunnel laufen sie in ihrem innen weißen, außen grünen Zelthalbrund umher. Weiß ist auch die gesamte Szene in den Sophiensaelen ausgelegt, die schwarze Aushängung ringsum schafft gediegene Theaterverhältnisse. Ausstatterin Tal Shacham hat ganze Arbeit geleistet. Von Christoph Winkler lässt sich das nicht behaupten. Sein Konzept sucht 100 Minuten lang zwei Dinge zusammenzubringen, die für sich genommen spannend sein könnten. „A Taste of Ra“ schlägt eine Brücke zwischen Sun Ra, dem 1993 verstorbenen legendären Jazzmusiker, und jungen Menschen von heute, die über sich, die Welt, ihre Vergangenheit und Zukunft nachsinnen. Auch der Amerikaner Ra alias Herman Blount lebte in Fantasiewelten, wähnte sich vom Saturn, nannte sein Plattenlabel ebenso, begründete den Cosmic Jazz, gab sich den Namen des ägyptischen Hauptgotts Ra. Auf seinen Film „Space Is the Place“ von 1972 beziehen sich die sechs Spieler in ihren knappen Sentenzen, als sie endlich die Szene betreten. Der Raum sei endlos, ein Zuhause, man brauche dafür kein Visum, es gebe keine Polizei. Eine Aktrice wird zur brabbelnden Comicfigur, was auf Ras Flirt mit der Musik zu Disney-Filmen anspielen mag. Außer permanenten Gängen zu wenig Musik kommt jedoch in dem von Sukkulenten geschmückten Raum nichts in Gang.
Witz bringt, wie noch mehrmals, Jörg Schiebe ein, der sich kaum zu gehen traut, weil er schon die Kritik im Nacken spürt. Man kann auch ohne Plan gehen, aber das Ziel muss klar sein, wird er belehrt. Das würde man gern Christoph Winkler ins Stammbuch schreiben, der ständig zielt, ohne wirklich abzudrücken. Seine Darsteller reden sich in Englisch und Deutsch um Kopf und Kragen, erzählen Geschichten vom Heiraten, ob oder nicht, vom Lieblingsfilm, von fallenden Herbstblättern und Depressionen, Kindheitserlebnissen, Sternbildern, dem ersten Tanzwettbewerb. Vom Sesshaftwerden mit Mann und Kind, Auskosten der Freiheit zu Drogen, Männern, Reisen und dass man sich dennoch nicht wohl fühlt, weil die Strukturen um einen herum immer dichter werden. Und sie denken nach, ob man viel ausprobieren oder sich doch lieber auf einen Weg konzentrieren soll. Ehrlich klingen manche der Nachdenklichkeiten schon, nur fehlt ihnen die ordnende Hand eines Regisseurs, der sein Ziel kennt und dem Wildwuchs der Worte gegensteuert. So ereignet sich allzu vieles auf dem Niveau einer gehobenen Schüleraufführung, produziert pure Langeweile, erstarrt mehrfach im Stillstand, etwa während Sarah Grethers Illusions-Schlusspalaver. Alle sind bis dahin aufgebrochen, irgendwo angekommen, wissen nicht mehr, ob sie drin oder draußen sind: Draußen bin ich ehrlicher, sagt wer, man könne ja nicht ewig drin bleiben. Dass sie überhaupt reinkommen, hätte man den Darstellern gewünscht. Eugene Boateng darf kreischen, Schiebe grunzen, Martin Hansen seinen Körper herumreißen. Wenn sie Sequenzen lang tanzen, Anna-Luise Recke, Christine Joy Ritter, Boateng, Grether, auch in Duos, sieht man, wieviel wertvolles Potenzial hier verschleudert wurde. Die „Goldene Himbeere“ für die schwächste Produktion: ein Nichts von tragischem Ausmaß. Bis 28.11., 20 Uhr, Sophiensaele, Sophienstr. 18, Berlin-Mitte
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments