Zwei Meister des zeitgenössischen Tanzes

Saburo Teshigawara und Sidi Larbi Cherkaoui

oe
Ludwigsburg, 20/10/2006

Ein programmatischer Auftakt der neuen TanzForum-Serie im Ludwigsburger Forum am Schlosspark mit dem Ballet du Grand Théâtre de Genève: der Japaner Saburo Teshigawara mit „Para-Dice“ und der belgische Marokkaner Sidi Larbi Cherkaoui mit „Loin“ (hier bereits vorgestellt anlässlich des Gastspiels der Genfer beim Wolfsburger movimentos Festival am 5. Juni). Dazwischen allerdings ein Ärgernis: der aus dem Béjart-Camp stammende Grieche Andonis Foniadakis mit „Selon désir“ – ein geschredderter Bach als akustische Pollution und dazu eine Chaos-Choreografie für 16 Tänzer, gehörschädigend und zum Wegsehen einladend. Die drei gründlich verschiedenen Stücke dargeboten von zehn plus zwölf Tänzerinnen und Tänzern aus aller Herren Länder, sämtlich hoch motivierte Champions der internationalen Spitzenklasse.

Teshigawara, hierzulande bekannt durch seine Arbeiten in Frankfurt und München, entwickelt seine 22-Minuten-Choreografie aus stationären Arm-Signalen, die sich die vier Paare zusenden, bevor sie sich in den Raum ergießen und in wechselnden Konstellationen durchfließen, ein auf und ab wogender Bewegungsstrom, so elementar und organisch wie die einander ablösenden Gezeiten. Es ist ein Stück, das auch in seinen heftigsten Aufwallungen eine unbeirrbare, geradezu taoistische Ruhe ausströmt. Zeit und Raum scheinen suspendiert – der doppeldeutige Titel sowohl als Glücks-Würfelspiel interpretierbar wie auch als paradiesischer Seelenfrieden.

Davon kann bei seinem griechischen Kollegen wahrlich nicht die Rede sein – aber der ist bereits wieder vergessen, wenn Cherkaoui zu seiner „Loin“-Recherche ansetzt, in der es um die Vermessung von Distanzen geht, von Nähe und Ferne – zu wundersam den Raum durchflutenden Klängen aus den „Rosenkranz-Sonaten“ von Heinrich Ignaz Franz Bieber, zarten instrumentalen Filigranen, die wie Ornamente durch die Luft schweben. Und darin exakt den ornamentalen Armfigurationen entsprechen, die Cherkaoui aus der arabischen Ikonografie abgeleitet zu haben scheint. Nähe (die beiden Männer, die am Anfang mit der Stirn aneinander gelehnt eine blockartige Skulptur bilden, aus der sich die Hände, auch sie symmetrisch miteinander verbunden, lösen zu ihren ornamentalen Luftmalereien) und Ferne – die auseinander gezogenen und über den ganzen Raum verteilten Gruppen, die sich dann wieder zu Linien ordnen und ihre Bewegungsimpulse weiterreichen: das meint hier nicht zuletzt auch den Dialog der verschiedenen tänzerischen Kulturen, die hier aufeinander treffen – auch in zwei ausgedehnten Rede- und Gesprächsepisoden in einem babylonischen Sprachgewirre, in dem die Tänzer von ihren Reisebegegnungen aus der ganzen Welt berichten.

Ach, wenn es doch auch jenseits der Bühne im Dialog der Kontinente und Kulturen so harmonisch – die Gegensätze keineswegs unterschlagend – zuginge wie unter den sich letzten Endes zu einem einzigen Pulk zusammenfindenden zweiundzwanzig Tänzern mit ihrer sieghaft die Zukunft ins Visier nehmenden über ihnen schwebenden Lichtgestalt (wie im Finale von Balanchines „Serenade“).

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