Abschied von Patrick Dupond
Der ehemalige Solotänzer und langjährige Ballettdirektor der Pariser Oper ist verstorben
Nach der Erstaufführung von Ashtons „La Fille mal gardée“ im Palais Garnier am Ende der letzten Spielzeit (siehe tanznetz vom 01.08.2007) blickte die Direktion der Pariser Oper diesen Oktober erneut über den Ärmelkanal, um das Repertoire der Kompanie weiter zu bereichern. Diesmal ging es nicht darum, einen Klassiker der britischen Balletttradition auf der wichtigsten französischen Bühne zu zeigen, sondern darum, einen vielversprechenden jungen Choreographen mit einer Uraufführung zu beauftragen. Die gelungene Wahl der Direktion fiel auf Wayne McGregor, Hauschoreograph des Royal Opera House und aufsteigender Stern am englischen Balletthimmel, dessen 44minütige Kreation neben Angelin Preljocajs 2004 auf derselben Bühne uraufgeführtem Ballett „Le Songe de Médée“ gezeigt wurde (siehe tanznetz vom 06.11.2004).
McGregor, fasziniert von der Komplexität des menschlichen Körpers, der „vollkommensten aller technischen Maschinen“, hatte es sich zum Ziel gesetzt, mit diesem Stück die Evolutionstheorie zu thematisieren. Dieses Sujet wird vor allem in Vicki Mortimers Kostümen sowie in Ravi Deepres zahlreichen Videosequenzen sichtbar, die zuerst urzeitliche Landschaften, dann verschiedene tierische Spezies zeigen und schließlich mit Bildern von laufenden Affen und Menschen deutlich die Darwinsche Theorie evozieren. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich McGregors Choreographie von der ersten Sekunde an mit faszinierender Konzentriertheit und in exzellenter Besetzung. Es ist erstaunlich, was der junge englische Choreograph aus den Tänzern der Pariser Oper herausholt – vielleicht tanzen diese mit so viel Überzeugung und Hingabe, weil McGregor bei seinen Kreationen stark die Vorschläge und Persönlichkeit seiner Interpreten einbezieht.
Das Stück beginnt mit einem männlichen Trio aus Stéphane Phavorin, Benjamin Pech und Jérémie Bélingard, wobei vor allem letzterer McGregors Stil besonders verinnerlicht hat. Dieser erinnert an manchen Stellen an den Forsythe von „Approximate Sonata“ sowie an den von „In the Middle, Somewhat Elevated“, doch trotz dieser Anklänge beweist McGregor eine eigene choreographische Handschrift, die man aus früheren Stücken wie „Chroma“, „Nautilus“ oder „Eden I Eden“ kennt. Sein Stil zeichnet sich vor allem durch extreme Flexibilität und flüssige Bewegungen aus, welche die Tänzer oft wie durch Wasser wabernde Amöben wirken lässt – Oberkörper und Hals schlagen dabei Wellen, als wäre die Wirbelsäule abgeschafft; oft findet man ein Bein in überraschender Position und beunruhigender Distanz zum anderen wieder.
Aus diesem Kampf mit der Materie und dem eigenen Körper geht vor allem Marie-Agnès Gillot siegreich hervor, die trotz einer Verletzung mit ihrer Bühnenpräsenz und Stilsicherheit die Besetzung dominiert. Sie erstaunt vor allem in einem sinnlichen Pas de Deux mit Benjamin Pech in einer Kiste mit schiefem Boden, die sich langsam auf das Publikum zu bewegt, sowie in einigen kurzen Soli, von denen das letzte optisch reizvoll mitten in einer Videoprojektion stattfindet. Zudem sorgt sie für einige der einprägsamsten Momente des Stückes, wenn sie in einem extremen Penché gleich einer Pyramide ein langes Bein in die Luft streckt, mit angezogenen Knien auf Spitze springt oder sich hinter ihrem eigenen über Kopf gehaltenen Bein zu verfangen scheint und sich wie ein eingesperrtes Tier mit dem anderen Arm rudernd zu befreien sucht.
Zu den weiteren Höhepunkten des Stückes gehören ein Sextett, bei dem man gar nicht weiß, welchem der ausgezeichneten Tänzer man seine Aufmerksamkeit zuwenden soll, sowie ein kurzes aber prägnantes Solo eines jungen Stars von morgen, Mathias Heymann – dieser bewies ebenso wie seine langgliedrige Partnerin Laurène Levy und die exquisite Myriam Ould-Braham, dass er nicht nur für klassische Rollen geeignet ist. Zu den schwächeren Elementen des Stückes zählten die Musik von Joby Talbot und Deru, die manchmal an schlechte Fantasyfilmbegleitung erinnert, die zu lange reine Videopassage gegen Ende und ein etwas aufgelöster Schluss, der nicht mit der choreographischen Dichte des Anfangs mithalten kann. Trotz allem besticht das Stück durch seine Klarheit, einige originelle choreographische Einfälle und die hohe Qualität der tänzerischen Darbietungen – schade, dass wegen Streiks nur die Hälfte der ursprünglich geplanten Vorstellungen stattfand. Ein Grund mehr für die baldige Wiederaufnahme dieses reizvollen Neuzugangs zum Pariser Repertoire.
Rezensierte Vorstellung: 10.11.2007, www.operadeparis.fr
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