Das Bayerische Staatsballett eröffnet seine Saison mit „Onegin“ von Cranko
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Die Terpsichore-Gala der Ballettfestwoche 2008
Hamburg hat seine jährliche Nijinsky-Gala. München greift noch höher und hat sich für seine Gala des olympischen Protektorats von Terpsichore höchst persönlich versichert. Und Stuttgart? Meldet Fehlanzeige! Dabei hätte es sich auf gleicher Augenhöhe zumindest um die Schutzherrschaft Noverres bemühen können. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Beim Bayerischen Staatsballett hieß es diesmal „John Cranko zu Ehren“ – nicht nur als nachgeholte Geburtstagsgratulation zu seinem Achtzigsten, sondern auch zur Erinnerung an sein Münchner Wirken als Chefchoreograf der Staatsoper von Herbst 1967 bis Sommer 1972 neben seinen Stuttgarter Aktivitäten als Ballettchef der Württembergischen Staatstheater.
Das München-Stuttgarter Doppelengagement war damals in beiden Städten mit außerordentlicher Skepsis betrachtet worden – kein Wunder bei der nicht nur kulturellen Rivalität der beiden Metropolen. Die hat sich im Laufe der Jahre im Ballett längst zu einer Entente cordiale entwickelt. Mit dem Ergebnis, dass Stuttgart bei der diesjährigen Terpsichore-Gala eine wichtige Rolle spielte. Nicht nur mit diversen Balletten Crankos, „Made in Stuttgart“, sondern auch mit so von Stuttgart geprägten Tänzern wie Bridget Breiner, Roberta Fernandez, Nikolay Godunov und Robert Tewsley, sondern auch mit Friedemann Vogel, der als lupenreiner Klassizist quasi als Einlöser des Vermächtnisses des legendären Münchner Heinz Bosl beteiligt war (von Georgette Tsinguirides als Einstudierungshelferin ganz zu schweigen).
Es wurde ein schöner, abwechslungsreicher, klug zusammengestellter, durchaus nicht nur nostalgisch verklärter Abend. Cranko hätte sicher gestaunt, was aus „seinen“ Münchnern 35 Jahre nach seinem Tod geworden ist. Und wäre sicher auch begeistert gewesen über die musikalische Qualität dieser Vorstellung mit dem Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung von Myron Romanul (auch er übrigens ein Ex-Stuttgarter). Interessant auch durch die Programmzusammenstellung mit den Klassikern „Romeo“, „Onegin“ und „Widerspenstige“ natürlich, aber auch mit solchen frühen Arbeiten wie „Katalyse“, „Salade“, „Ebony Concerto“ und „Aus Holbergs Zeit“. Für manches Schmunzeln sorgten auch die zwischen Ivan Liškas Überleitungstexte eingestreuten sehr persönlich gehaltenen Reminiszenzen von Konstanze Vernon (Münchens Lady Terpsichore) und Jürgen Rose (noch so ein Ex-Stuttgarter).
Wodurch sich diese „Terpsichore Gala VII“ von allen Galas weit und breit unterschied, war etwas anderes: das Programmbuch „John Cranko – Der Choreograph und seine Arbeit in München“. Von Wolfgang Oberender konzipiert – wie dieser ganze Abend mit zahlreichen Projektionen von Aufführungsfotos und Cranko-Porträts nebst einem aufschlussreichen Interview mit ihm –, ist es wahrlich zu einem Buch über eins der glänzendsten Kapitel der Münchner Ballettgeschichte geworden – vor allem durch Oberenders minuziöse Recherche „John Cranko in München“, die mit einer ganzen Reihe inzwischen längst in Vergessenheit geratener Fakten aufwartet – zum Beispiel über Heinz Rosen, Margot Werner, Natascha Trofimowa, Suse Preisser. Janine Charrat und Günther Rennert bis zu Edmund Gleede, Ronald Hynd und Edward Dutton. Weitere Beiträge stammen von Jürgen Rose und Ray Barra, und Julia Bührle beschäftigt sich in „Cranko bewahren“ mit den Choreologinnen Georgette Tsinguirides und Cherie Trevaskis.
Liest man das, wird man als Stuttgarter regelrecht neidisch. Warum gibt es so etwas nicht auch in Stuttgart? Warum gibt es nicht auch nur ansatzweise eine vergleichbare Geschichte des Stuttgarter Balletts? Die Antwort ist ziemlich einfach: weil der einzige Stuttgarter, der in Stuttgart mit Cranko groß geworden ist, und der dazu in der Lage wäre, seine enorme Erfahrung in eine solche Dokumentation einzubringen, der aus Esslingen stammende Wolfgang Oberender ist – Stellvertreter des Ballettdirektors an der Bayerischen Staatsoper. Aber vielleicht kann ihm ja die John Cranko Foundation, wenn sie denn je zustande kommt, einen entsprechenden Auftrag erteilen.
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