Kammerspiel um Sex und Krankheit

Cathy Marston setzt in Bern Ibsens „Gespenster“ in Tanz um - zwiespältig

Bern, 07/04/2008

Henrik Ibsens „Gespenster“ als Tanztheater? Ein psychologisches Kammerspiel als plastisches Handlungsballett? Das muss ein schwieriges Unterfangen sein. Inhaltlich geht es bei dem 1882 uraufgeführten Stück des norwegischen Autors um Frau Helena Alving und ihren Sohn Oswald. Er hat von seinem inzwischen verstorbenen Vater eine damals zum Tode führenden Geschlechtskrankheit (Syphilis) geerbt. Ohnehin war Hauptmann Alving ein wüster Schürzenjäger, der seinerzeit auch das Dienstmädchen der Familie geschwängert hatte. Jetzt flirtet Oswald mit deren Tochter, ohne zu wissen, dass sie seine Halbschwester ist. All diese Zusammenhänge erhellen sich erst in der Rückblende, im Gespräch der Frau Alving mit dem sittenstrengen ehemaligen Jugendfreund Pastor Manders...

Die 1975 geborene Engländerin Cathy Marston war kühn genug, das Projekt anzupacken. 2005 brachte sie Ibsens Drama unter dem Titel „Ghosts“ im Rahmen des Londoner Royal Opera House zur Uraufführung; jetzt zeigt sie „Gespenster“ im Stadttheater Bern, wo sie seit Beginn der Spielzeit 2007/08 eine 14-köpfige Tanzgruppe leitet. Für die Schweiz ist Cathy Marston keine Unbekannte, hat sie doch in Zürich unter Bernd R. Bienert, in Luzern unter Richard Wherlock und in Bern unter Félix Duméril getanzt. Ihr Hauptziel, so betont die klassisch wie modern ausgebildete Tänzerin, war aber von Anfang an die Choreografie.

In mancherlei Hinsicht ist Marston mit „Gespenster“ ein echter Coup gelungen. Die sieben mitwirkenden Tänzerinnen und Tänzer verwandeln sich in plastische Charaktere; sie beherrschen den von Marston geforderten, an deutschen Ausdruckstanz erinnernden Bewegungsstil souverän, auch in den kompliziert verschlungenen Pas de Deux. Alles spielt in einem einzigen, spannungsreichen Raum. Das Bühnenbild (Jon Bausor) mit seinen nordischen Farben wirkt leicht verfremdet durch Rechtecke und Trapeze, die zueinander in falscher Perspektive stehen. Oben an der Decke erscheinen abwechselnd Videobilder von Regen, Mond, Wolken oder Eiswand.

Eindringlich auch die Musik von Dave Maric, die kammermusikalische und elektronische Elemente vermischt. Sie war in London eigens für „Ghosts“ in Auftrag gegeben worden. In Bern spielen Mitglieder des Musikerpools „Opus“ live Marimba, Harfe, Cello, Viola und Bassklarinette; dazu erklingt ein Soundtrack ab Band. Hier und auf anderen künstlerischen Ebenen: Stets waren und sind Fachleute mit geradezu perfektionistischer Sorgfalt am Werk.

Und doch, bei aller Bewunderung: Gelegentlich wirken Marstons „Gespenster“ altmodisch-schwülstig. Dann scheint der Tanz Blut zu schwitzen. Was der Dramatiker Ibsen an menschlichen Beziehungen indirekt ans Licht bringt, bildet die Choreografin in naturalistisch-chronologischer Folge ab. So lieben sich Hauptmann Alving und das Dienstmädchen Johanna handfest auf der Bühne, während sie bei Ibsen nicht einmal persönlich auftreten. Verführungs- und Krankheitsszenen nehmen einen breiten Raum ein. Tänzerisch geschickt - aber Ibsens Feinnervigkeit geht damit fast zwangsläufig verloren. An ihrer Stelle macht sich überhitzter Expressionismus breit - als wären die „Gespenster“ ein Stück von August Stindberg.

 

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