„Eine große Ehre“
Tarek Assam zum Sprecher der Bundesdeutschen Ballett- und Tanztheaterdirektoren Konferenz gewählt
Begeisterter Applaus für die Tanzcompagnie Gießen bei der Premiere am Samstagabend. Das neue Tanzstück besteht aus zwei sehr unterschiedlichen Kreationen von zwei Choreografen, gemeinsamer Nenner ist die Musik von George Gershwin. Den Anfang macht das rasante Kurzstück des Gastes Philip Taylor zur bekannten „Rhapsody in Blue“, der längere Teil nach der Pause, „Vom Big Apple nach Paris“, stammt vom Gießener Ballettdirektor Tarek Assam, der als Basis das 1928 uraufgeführte Orchesterstück „Ein Amerikaner in Paris“ wählte, ergänzt um drei weitere Kompositionen von Gershwin.
Philip Taylor war bis 2007 Ballettdirektor am Münchener Gärtnerplatztheater, seine dortige Umsetzung der „Rhapsody in Blue“ löste Begeisterungsstürme aus. Für Gießen entwickelte er das Stück neu, auch weil hier zehn Tänzer weniger zur Verfügung stehen. Sein tänzerisches Motiv ist „Freiheit“, insbesondere die Unabhängigkeit des Individuums. Das Bühnenbild ist denkbar schlicht: eine halbhohe weiße Rückwand, auch die Kostüme sind schlicht: locker sitzende weiße Trikotanzüge. Individualismus mündet in Gleichförmigkeit, in einem witzigen Kollektivstriptease ziehen alle ihre Hosen und Shirts aus. Sie tanzen nun in hautfarbener Unterwäsche; Versuche einzelner, sich wieder anzukleiden oder Kleingruppenbildung werden verhindert. Aus dem Gleichklang der Tanzenden fällt nur eine quasi bewegungslose Tänzerin heraus. Taylor inszeniert das fulminant-witzige Treiben dicht an der Musik, was dem Gießener Premierenpublikum offensichtlich gut gefiel.
Tarek Assam hat seine Sicht auf das klischeebehaftete Motiv „Ein Amerikaner in Paris“ ebenfalls gegen den Strich gebürstet, hat das gleichnamige Orchesterstück durch die Gershwin-Werke „Second Rhapsody“, den Song „Love is here to stay“ und am Ende durch das Klavierkonzert in F ergänzt. Als Grundmotiv destillierte er das Thema Sehnsucht heraus. Die Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit, nach einem anderen Leben und – von der amerikanischen Moderne aus gesehen – nach dem alten Europa. Wenn New York in den 1920er Jahren der Inbegriff des neuen Lebensgefühls war, so steht Paris für sinnliches Erleben und Flanieren. Für diese unterschiedlichen Tempi und Atmosphären findet Assam beeindruckende Bilder. In New York ist alles geschäftig und schnell, in Paris vom touristischen Staunen und unbeschwertem Lebensgefühl geprägt. Und dazwischen schaukelt ein Schiff auf den Wellen.
Wesentlich unterstützt wird er dabei von dem Bühnenbild, das Annett Hunger geschaffen hat, die von Haus aus Architektin ist. Bereits bei Assams Stück „Clandestino“ hat sie komplett die Bühne ‚verstellende’ bewegliche Elemente geschaffen, die von den Tanzenden leicht verschoben werden können. New York wird durch Vertikalen symbolisiert, die an Hochhäuser erinnern, Paris durch ein schräges Gerüstteil, das schnell als Eiffelturm identifiziert ist. Die Kostüme sind alltagstauglich mit Anklängen an die 1920er Jahre. Für die stimmungsvolle Beleuchtung hat erstmals Kati Moritz gesorgt, die neue Beleuchtungschefin am Stadttheater Gießen.
Für einen jeweils kurzen Moment tauchen Personen auf, die mit den Städten in Verbindung stehen: für New York sind das die Freiheitsstatue auf und King-Kong, für Paris Josephine Baker im silbernen Bananenröckchen, ein Flic und ein Künstler. Assams neuer Assistent Jeremy Green gibt an dieser Stelle seinen tänzerischen Einstand: der Stepptanz erinnert an Fred Astaire im Film „Ein Amerikaner in Paris“. Mehr Ähnlichkeiten gibt’s allerdings nicht. Die Tänzer und Tänzerinnen finden sich in Assams Choreografie häufiger in wechselnden Formationen denn als Gesamtgruppe auf der Bühne. Es gibt durchaus besondere Pas de deux, etwa zwischen Magdalena Stoyanova und Christopher Basile sowie zwischen Ekaterine Giogadze und Meindert Ewout Peters, doch insgesamt muss man von einer großartigen Gesamtleistung bei einem neu zusammen gesetzten Ensemble sprechen. Neben bewährten Ensemblemitgliedern wie Antonia Heß, Svende Obrocki und Morgane de Toeuf tanzen seit der letzten Spielzeit Hua Bao Chien und Keith Chin in Gießen; ganz neu dazu gekommen sind (neben Basile) Nina Plantefève-Castryck, Alexey Dimitrenko und Sven Krautwurst. Insgesamt ist das Gießener Tanzensemble damit von acht auf zwölf Mitglieder aufgestockt worden, eine höchst erfreuliche Entwicklung, die sich vor allem bei den Gruppenszenen positiv bemerkbar macht.
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