Von allen etwas
Die „Werkstatt der Kreativität II“ von der Ballettschule des Hamburger Balletts im Ernst-Deutsch-Theater
Teil II der „Werkstatt der Kreativität“ der Ballettschule des Hamburger Balletts wartet mit diversen Höhepunkten auf
Es scheint zur lieben Gewohnheit zu werden, dass Isabella Vertes-Schütter, Intendantin des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters, alljährlich in der ersten März-Woche die Bühne frei gibt für die jungen Tänzer aus John Neumeiers Ballettschule am Ballettzentrum Hamburg. Das tagtäglich fast ausverkaufte Haus gibt dem Recht –das Publikum verfolgt interessiert und mit Sachverstand, was die jungen Tänzer der Theaterklassen VII und VIII im Rahmen ihrer Ausbildung an eigenen Kreationen zusammengestellt haben. Sogar eine 12. Schulklasse war da – „dienstlich“ natürlich, denn die Lehrerin hatte im Leistungskurs „Sport“ den SchülerInnen die Aufgabe gestellt, genau hinzuschauen, was gefällt und was nicht und zu begründen, wieso. Und so wurde eifrig notiert und überlegt, und so manches Mal etwas ratlos dreingeschaut. Denn das Spektrum dieses zweiten Abends war – wie schon des ersten, siehe Ulrich Völkers Besprechung in tanznetz vom 2.3.2011 – durchwachsen, wenngleich insgesamt dichter und überzeugender als in Teil 1.
Natürlich gab es Reminiszenzen an den großen Meister – mal ziemlich kitschig wie „For you“ von Francisco Ruiz-Echarri, mal recht eigenständig wie Patrick Eberts phantasievoller „Ansporn“, das in sich verwobene „Why?! What?!“ von Lizhong Wang, die verstörenden und sich dann doch wieder in die Leichte hebenden „Traumszenen“ von Sofia Schabus oder auch die gefällige, heiter-melancholische Liebeserklärung „When you’re not there“ von Lilli Dahlberg. Aber dennoch ging da oft der Zusammenhang verloren, wusste man nicht so recht, was eigentlich erzählt werden soll. Da wurde viel über die Bühne gerannt, kreuz und quer oder von links nach rechts, von rechts nach links, wurde innegehalten und schicksalsschwer in die Ferne geguckt. Hm. Immer dann jedoch, wenn sich die jungen Tänzer uns Tänzerinnen von ihrem großen Vorbild lösen, das sie durch die räumliche Nachbarschaft im Ballettzentrum und auf der Bühne der Staatsoper tagtäglich erleben, immer dann überzeugen sie am meisten. Dann gewinnen sie eigenes Profil – und letztlich geht es ja genau darum in diesen Kompositionsaufgaben.
Ein kleines bisschen zuviel zugemutet hatte sich und seinen Tänzern allerdings Constant Vigier mit „Gleich – anders – gleich – anders – gl...?“ zum furios schnellen 3. Satz der Mondscheinsonate (in der expressiven Aufnahme mit Wilhelm Kempff – klug gewählt!). Da steckt viel Arbeit drin, extrem viel Timing und Zählen, am Schluss ist selbst der Zuschauer innerlich völlig außer Puste. Aber ständig über die Bühne zu fegen ist eben nicht unbedingt befriedigend. Wieviel spannender wäre es gewesen, das Tempo durch betonte Langsamkeit zu konterkarieren?
Höchst ambivalent war auch „Screen ON/Screen OFF“ von Nikolaos Doede zu eigener Musik – der Junge ist nicht nur ein sehr guter Tänzer, sondern auch ein ebenso guter Pianist. Nur choreografisch weiß man nicht so recht, was er eigentlich will mit diesem Stück für zwei Männer, das weitgehend ein Solo ist. Ziemlich verrätselt und in sich nicht so recht stimmig ist das, auch seine Bewegungssprache ist ziemlich unstrukturiert, wenngleich an vielen Stellen durchaus phantasievoll. Eine ordnende Hand wäre hier vonnöten, um dem ganzen noch mehr Struktur zu geben. Aber – so what? Es ist eine Werkstatt der Kreativität, und das kann man durchaus wörtlich nehmen. Da darf der Zuschauer auch mal ein bisschen konsterniert sein.
Umso faszinierender, wenn plötzlich ein in sich geschlossener Erzählstrang heraussticht, zumal er auch noch choreografische Eigenständigkeit erkennen lässt: Giuseppe Ragonas „What about it“, eine überaus reife, gut durchdachte Arbeit, unbestritten der Höhepunkt des Abends. Ragona erzählt die Geschichte eines Coming out so dicht, so spannend, und mit einer so zwingenden Bewegungssprache, dass man von Anfang bis Ende völlig gebannt ist. Zu einem Gutteil ist das auch Sasha Riva zu verdanken, der den Hauptpart darstellt – einen jungen Mann im weißen Unterhemd und grüner Trainingshose, der sich den Schleier einer Frau greift, damit spielt, schmust – und dann fasziniert ist von einem Mann.
Dieser hat zuvor kokett-flirtend zu dem unwiderstehlichen „Stand by me“ von Ben King mit einer Frau getanzt (frech, frisch und fröhlich: Alessandra La Bella), fühlt sich aber auch zu dem jungen Mann hingezogen. Da geht man innerlich jede Bewegung mit, hineingezwungen durch die begnadete Bühnenpräsenz von Sasha Riva (man darf gespannt sein, wie John Neumeier diese Fähigkeit künftig choreografisch nutzen wird!). Wie Ragona hier die wechselseitige Attraktion in Bewegung übersetzt, das ist schon sehr besonders – und qualifiziert sein Stück durchaus auch für eine große Bühne. Die Leitsätze spricht Sofia Schabus, die mehrfach die Bühne quert mit den Worten: „What about boys wearing skirts? What about hidden feelings? What about... me?“ Den Haupt-Pas-de-deux zwischen den beiden Männern hat Giuseppe Ragona zu den tiefgründigen Klavierklängen von Ludovico Einaudi gestellt, einem hierzulande leider zu wenig bekannten Pianisten, der an die gute Tradition von Eric Satie anknüpft und doch musikalisch sehr eigenständig ist. Diese Musik im Zusammenhang mit der Choreografie und der intensiven Darstellung geht unmittelbar ins Herz. Begeisternd.
Bevor dann alle 17 Schüler noch einmal explosiv in „One Wish“ ihre Wünsche äußern (großartig zu einem bunten Strauß gebündelt von Stacey Denham, die als Ballettpädagogin an der John-Neumeier-Schule Modern Dance unterrichtet), zeigt Sasha Riva noch sein berührendes Solo „Thankful“ (zu Musik von Josh Groban). Es ist ein wunderschönes Dankeschön, das alles ausdrückt, was so ein junger Mensch empfinden kann, wenn er das Glück hat, an so einer Schule ausgebildet zu werden, wenn er seine Kreativität entfalten darf zu so guten Bedingungen (von denen man andernorts nur träumen kann). Schön, dass das auch einmal direkt thematisiert wird – danke, Sasha!
Es wäre zu wünschen, dass 2012, wenn hoffentlich die nächste „Werkstatt der Kreativität“ zu sehen ist, auch die neue Kultursenatorin Barbara Kisseler im Parkett sitzen wird. Denn dann werden ihr auf die Frage: „Welche drei Namen fallen Ihnen spontan ein, wenn Sie an die Hamburger Kultur denken?“ (siehe Hamburger Abendblatt vom 1.3.2011) vielleicht nicht nur Joachim Lux (Intendant des Thalia Theaters), Amelie Deuflhard (Intendantin Kampnagel-Fabrik) und Harald Falckenberg (Kunstsammlung Falckenberg in Harburg) einfallen. Mit dieser „Werkstatt der Kreativität“ hat John Neumeier sich aufs Feinste für sein lange gehegtes Projekt eines „Hamburg Ballett Youth“ empfohlen. Das Ballett ist ganz sicher eines der ganz, ganz großen Kulturpfunde, mit denen die Stadt Hamburg wuchern kann – weit vor Schauspiel und Oper. Möge die neue Kultursenatorin das bitte, bitte wahrnehmen.
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