Von allen etwas

Die „Werkstatt der Kreativität II“ von der Ballettschule des Hamburger Balletts im Ernst-Deutsch-Theater

Hamburg, 02/03/2011

Zehn Versuche, choreografisch zu gestalten, zehn mehr oder weniger tastende Tanz-Expeditionen auf der Bühnenfläche des Ernst-Deutsch-Theaters: „Werkstatt der Kreativität“ nennt Neumeiers Ballettschule das Programm, in dem Studenten der Abschlussklasse ihre Ideen tänzerisch ausdrücken können – als Teil ihrer Diplomarbeit und als Chance, sich selbstbestimmt ausdrücken zu können, beraten von Beatrice Cordua. Die Kreationen werden getanzt von Schülern der Theaterklassen aus dem Kompositionsunterricht von Beatrice Schickendantz-Giger. Die musikalische Betreuung und die Pianoparts übernahm Narmin Elyasova.

In „To the moon“ entwickelt Futaba Ishizaki ein melancholisches Spiel mit einem Anflug von Lieblichkeit. „3 Rosas“ von Ismael Gil gleitet geschmeidig an der Oberfläche der Musik von Roque Baños („Encuentros en la Cárcel“) und mündet in die Schlusspose im Spot. Beide nutzen wie fast alle ihre folgenden Kollegen die „modernen“ Arme, Hände und Finger zur flexiblen Gestik – meist ohne triftigen Bezug zum Ganzen. Marc Jubete schildert die (Arbeits-?)Welt „From underneath“ mit Gruppenlaufen, gelegentlichem Luftschnappen, einer Schreibmaschine, getippt im 3er-Takt, Gymnastik auf Klappstühlen, dazu ein weißes Paar als Kontrapunkt: viel cleverer Aufwand mit wenig Substanz. Links und rechts je eine Frau im roten Unterrock, in der Mitte ein Trio im Halbdunkel bei rotem Licht.

In „Borderline“ (gemeint als psychotische Störung?) lässt Sasha Riva die beiden Roten auf schmalem Streifen balancieren, auseinander streben. Das Trio (eine Frau, zwei Männer) startet eine Hebefolge, dazu zitiert eine Stimme Sequenzen aus der Computersprache. Ganz geschickt entfaltet Sophie Vergères in ihrem „Memory House“ eine Spannung aus den Raumpositionen zweier Gruppen und einem zuerst getrennten Paar. In „Highway“ von Alessandra la Bella mischen sich Realität und Vision. Die Beifahrerin und Fahrer eines Autos tanzen jeder für sich, abwechselnd einen Liebestanz, herausgebrochen aus der Wirklichkeit einer langen Reisetour. In diesem ersten 6er-Block leiden die Stücke an einem gewissen Mangel an unbefangener Erfindung. Das fließt so dahin, gut, aber nicht mit der vollen Leidenschaft einer kraftvollen Jugend getanzt. Brav choreografiert, nicht provokativ, eher angepasst. Da ist keine(r), der oder die sich gegen die Konvention auflehnt. Imponierend ist jedoch der Einsatz aller, die sich jeder Aufgabe mit fast zu großem Ernst – oder Lampenfieber? – widmen. Daraus können sich über kurz oder lang Hoffnungsträger in Tanz und/oder Choreografie entwickeln.

Im zweiten Teil ragen zwei Stücke heraus: „Feelings on the hand“ von Takeshi Ikeda und, noch mehr, „Segundo Toque“ von Gabriela Finardi mit einem explosiven Pas de deux, in dem das Paar (vermutlich Yaiza Coll Suppert und Futaba Ishizaki) sich vor Tanzleidenschaft zu zerfetzen scheint. Da ist endlich der Ausbruch, die Befreiung aus dem Schatten des Neumeier-Umfeldes. Beim folgenden Solo quält sich Alessandra la Bella (in Schwarz) mit großer Geste offenbar als eine Schmerzensfrau. Warum? Konsequenter als seine Kollegen verfolgt Takeshi Ikeda in „Feelings on the hand” sein Motiv, das der ausgestreckten Hand, in deren Linien die Tänzer zu lesen scheinen. Auch in der Wahl seines Musikstückes fällt er heraus mit Mendelssohn Bartholdys Klaviertrio d-moll, 1. Satz, dessen Wucht er allerdings mit seinem Bewegungsfundus nicht ganz gewachsen ist. Drei Paare, flüssig geführt, unterliegen in Yukino Takauras einem „Déjà vu“, ausgedrückt durch Wiederholung, u.a. durch Anstoßen. In weißen Flatterhemdchen mit tiefem Rückenausschnitt schwirren Tänzerinnen wie Engel in „Memories“ (Sewon Ko) über die Bühne.

Dann kommt der schreiend bunte Rausschmeißer „One Wish“ mit 17 Irrwischen, die entfesselt auf der Fläche ein quasi geordnetes Chaos kreieren, gegen das auch ein herumrasender Narr trotz heftigem Bemühen nicht ankommt. Sehr zu ihrem Vergnügen und dem des Publikums. Dozentin Stacey Denham hat das angerichtet unter Mitarbeit ihrer Schüler, die hier voll aus sich herausgehen. Jeder darf einen Wunsch äußern, sei es auch ein abstruser, der gleich witzig in Tanz übersetzt wird. Die Mühen der wochenlangen Vorbereitungen, die bewältigten Herausforderungen an Technik, Ausdruck und Kondition werden belohnt: Das Publikum im vollen Haus reagiert mit begeistertem Applaus nach jedem Stück und rauschendem Beifall nach dem Finale.

Drei Mal – heute, 2.3., zum letzten Mal - wird dieses Programm gegeben, ab dem 3.März folgt das zweite Programm mit ebenfalls drei Vorstellungen.

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