Auf Nurejews Spuren
Neue Besetzungen in der Pariser „Bayadère”
Zwanzig Jahre nach der Premiere ist Rudolf Nurejews Pariser „Bayadere“, seine letzte Inszenierung und sein Abschiedsgeschenk an die einst von ihm geleitete Kompanie, immer noch eine der beeindruckendsten Großproduktionen des Balletts der Pariser Oper. Stets neue Generationen von Tänzern messen sich an diesem Werk über die Liebe zwischen der Tempeltänzerin Nikyia und dem Krieger Solor, die durch die Heiratspläne des Rajah für Solor und seine Tochter Gamzatti getrennt werden, so dass die Bajadere in den Tod und Solor in den Opiumrausch flüchten. Wie oft bei Nurejew häufen sich technische Schwierigkeiten für Solisten und Gruppe, so dass es ein beliebtes Stück für Étoile-Nominierungen ist. So wurde bei den letzten beiden Wiederaufnahmen jeweils ein Interpret der männlichen Hauptrolle in den höchsten Rang der Hierarchie erhoben: 2006 war es Hervé Moreau, vier Jahre später Stéphane Bullion.
Nurejew und seine Mitarbeiter ließen es in diesem opulenten indischen Märchen an nichts fehlen: weder an mit funkelnden Edelsteinen besetzten Kostümen in allen Farben des Regenbogens (Kostüme: Franca Squarciapino) noch an prunkvoller orientalisierender Palastarchitektur (Bühnenbild: Ezio Frigerio) noch an Requisiten von Papageien über Tiger bis zum riesigen Elefanten, auf dem Solor zu seiner Verlobung reitet. Ströme von Gold scheinen auf der Bühne ausgegossen, die alles in metallischen Glanz tauchen, vom üppigen Collier, mit dem Gamzatti die Bajadere zu bestechen sucht bis zum Goldenen Idol, dessen gleißende Körperbemalung die Zuschauer bis in die letzten Reihen zum Blinzeln bringt. Der dritte Akt, in irreelles schimmerndes Weiß getaucht, unterscheidet sich dabei so stark von den vorhergehenden Schauplätzen, dass man ein völlig anderes Ballett zu sehen glaubt. Diese etwas verwirrende Auflösung vom Handlungsballett in die reine Abstraktion am Ende wird dadurch begünstigt, dass der schwer kranke Nurejew aus Zeitgründen auf den Petipa-typischen Visionsakt keinen auflösenden Schlussakt mehr folgen lässt. In diesem fand bei Petipa die Hochzeit zwischen Gamzatti und Solor statt, bei der aufgebrachte Gottheiten aus Rache für Solors gebrochenen Treueschwur gegenüber Nikiya den Tempel über dem Brautpaar einstürzen ließen.
Doch lassen Nurejews drei verbleibende Akte an Ausführlichkeit und Detailreichtum nichts zu wünschen übrig. Zahllose Gruppentänze verschiedensten Charakters wechseln sich in fröhlicher Inkohärenz mit „indischen“ und klassischen Soli ab, neben Fakiren in Lendenschürzen tummeln sich bauchfreie Korsagen über Scheibentutus, wild bemalte und befederte Trommler wirbeln nach schwarzen Kindern über die Bühne. Das Aufgebot an Bajaderen, Kriegern, Priestern, Sklaven, Hofdamen, Sänftenträgern und Schatten lässt darüber staunen, dass es der Kompanie gelingt, gleichzeitig im Palais Garnier noch einen modernen Ballettabend zu besetzen. Zu Ehren kommt hier vor allem das weibliche Corps de Ballet, das zu Beginn des dritten Aktes den Abstieg der Schatten von der Rampe mit geradezu perfekter Symmetrie meistert. Auch in der anschließenden Gruppenszene bewundert man die Synchronität und die Homogenität des Ensembles, die mit Recht der Stolz der Kompanie sind.
In den Hauptrollen war an diesem Premierenabend eine Glanzbesetzung zu sehen, die in einigen Tagen verfilmt und live im Kino übertragen wird. Dorothée Gilbert erwies sich als technisch hervorragende Gamzatti, die sich nur einmal kurz aus ihrer souverän-arroganten Fassung bringen lässt. Dies geschieht nicht etwa in ihrer einwandfreien Serie von Tours en attitude mit anschließenden Fouettés, sondern in dem Moment, in dem sie erstmals Nikiya erblickt, mit der sie am Ende des ersten Aktes einen feurigen pantomimischen Machtkampf austrägt. Tatsächlich gibt der Anblick der bezaubernden, bescheiden die Augen senkenden Aurélie Dupont ihrer eifersüchtigen Rivalin allen Anlass zur Beunruhigung, weshalb die Tochter des Rajah sie nach ihrem verzweifeltem Solo im zweiten Akt, mit dem die Bajadere das Herz des treulosen Solor zutiefst erschüttert, mittels einer in einem Blumenstrauß versteckten Schlange sogleich eliminieren lässt. Solor folgt dem Geist Nikiyas ins Reich der Schatten, in dem die beinahe körperlos leichte und fließende Dupont als unangefochtene Königin regiert. Mit einem einzigen ihrer wunderbar weichen Ports de bras hat sie Solor vergeben, und von da an widmen sich die beiden nur noch ihrer Liebe, wobei Nikyia das Glück über den wiedergefundenen Geliebten unter anderem durch eine Vielzahl an Pirouetten von größter Schnelligkeit und Präzision zum Ausdruck bringt.
Der vielversprechende Solist Josua Hoffalt trug an diesem Abend die doppelte Last, eine Premiere mit einer besonders strahlenden Partnerin zu tanzen und wurde für seinen mutigen Einsatz im Dienst von Nurejews höchst anspruchsvoller Choreografie mit dem Titel des Danseur Étoile belohnt. Wenn auch hier noch nicht alles ganz ausgefeilt war und die beinbrecherischen Double tours en l’air en manège noch nicht ganz klappen wollten, kann man dem jungen Tänzer, zu dessen Stärken hohe Beine, eine elegante Linie, Sprungvermögen und eine authentische Bühnenpersönlichkeit gehören, ohne Zögern eine erfolgreiche Zukunft prophezeien.
Besuchte Vorstellung: 07.03.12
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