Markante Ausrufezeichen
„Blind Date“ und „Carnival of the Body“ im Lofft Leipzig
Schluss mit den ewigen Erforschungen des Bewegungsmaterials. Schluss mit dem schleichenden Selbstmitleid einsamer Tänzerinnen im Halbdunkel. Schluss mit den Männern, deren Art zu tanzen sich einzig dem Leiden daran zu verdanken scheint, dass sie eben männlichen Geschlechts sind. Schluss mit Rätseln und vor allem jenem „selbstreferentiellem Spiel nach ungeschriebenen Regeln“! Zur fünften Tanzoffensive, dem Leipziger Festival für aktuellen Tanz, wollen die Organisatoren ein Zeichen setzen. Es sollen wieder Geschichten erzählt werden. Da setzt die Eröffnungspremiere auch gleich starke Zeichen. Die Kompanie „T.R.A.S.H.“ aus Tilburg in den Niederlanden macht mit zwei Arbeiten ihrer Choreografin und künstlerischen Leiterin Kristel von Issum, die erstmals in Deutschland zu sehen sind, auf jeden Fall kräftige Vorgaben.
Zunächst „T + Bernadette“, für eine Tänzerin, einen Tänzer, eine Cellistin. Den häuslichen Ort definiert eine Waschmaschine, die zu bewältigende Situation einige Kleidungsstücke und Perücken. Aus dem Wispern des Instruments entwickeln sich vielstimmige Klangkaskaden, bei denen die Solistin Jaqueline Hamelink immer wieder mit ihren eigenen Tonschöpfungen Dialoge führt. Nach furiosem Beginn der Tänzerin Lucie Petrusová bequemt sich der Tänzer Joss Carter hinter der Waschmaschine hervor und wir erleben einen so wilden wie körperintensiven Tanz durch so gut wie alle Stile. Alles, Klänge und Menschen, preschen aufeinander los, nichts aber kommt zusammen. Sprünge und Stürze, Kleidertausch und Rollentausch und immer diese kleinen Spiele aus der alltäglichen Absurdität, ganz nahe beieinander zu sein und nichts von dem zu sehen was der andere auch nicht sieht.
Der Humor kommt nicht zu kurz in den Blitzlichtgeschichten vom Macho mit den weichen Zonen und dem flinken Wildfang dessen Küsse Bisse sind. Beziehungstrash und Tanztheater, eine alte Geschichte, aber so ekstatisch, so punkig, so hautnah erzählt, das hat man lange nicht erlebt.
Teil zwei ist ein Solo, „Girl 29“, ebenfalls eine Deutschlandpremiere, erst vor gut einem Monat uraufgeführt. Wieder geben einige Zeichen den Ort an, wieder finden Tanz, Spiel und Performance musikalische Entsprechung in einer Komposition von Arthur van der Kuip, jetzt durch die Sängerin Artemisz Polonyi, ihren faszinierenden Vokalisen und Soundmixturen interpretiert. Der Klangraum assoziiert einen Flughafen. Die Zaunteile auf der Szene von Poul van Weert, in denen sich Abfall und Verlorenes verfangen, den möglichen Endpunkt einer Reise. In dieser räumlichen Fiktion aus Ankommen und Weggehen, Flüchten und Verfolgt werden, im Niemandsland endgültig zu verenden oder doch noch einmal, dem Phönix aus der Asche gleich, sich über alles und alle zu erheben, prescht die Tänzerin Tegest Pecht-Guido durch Situationen und Identitäten.
Bei erstem Augenschein folgt solcher Tanz auch keiner Regel. Dann aber wird immer mehr und intensiver deutlich, dass es die Revolte des Körpers ist, die die Regeln bestimmt. Für die Frau in „Girl 29“ ist es die Revolte der Würde ihres Körpers, die sie in den so vehementen Tanz führt, bei dem sie blitzschnell von einer Identität in die andere gelangt, vom quasselnden Witz in den schmerzhaften Absturz, vom verführerischen Wiegen der Hüften in die totale Verweigerung. Tränen folgen dem Scherz und dem Lächeln die Fratze. Tanz als beständige Flucht, hier bis in die Atemlosigkeit. Tanz kennt keine Gnade. Die Tänzerin löscht das Licht auf der Bühne.
Von wegen, es drehe sich alles um den Tanz. Jetzt dreht sich etliches bei uns. Geschichten quellen wie Schaum aus der Waschmaschine, Fantasien gehen hoch wie Flieger oder wie die bunte leere Tüte im Wind, die sich im Maschendraht für immer fängt.
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