Traumatänze

„March“ zur Tanzoffensive 12 in Leipzig

Leipzig, 14/05/2012

Auf der Bühne ein Monstrum aus Holz. Ein Berg? Eine Barrikade? Schräge Flächen und Abstufungen nach vorn. Bald werden sich hinter diesem Berg Menschen zeigen. Sie werden sich über den Berg ins Geschehen schieben und rutschen. Später öffnet sich der Berg, ein Tänzer in der Höhle am Schlagzeug, hämmernde Passagen, immer gleich, keine Erbarmen. Bringt Beharrlichkeit den Berg zum Bersten? Bevor aber die Gestalten über den Berg kommen, bevor der Berg sich öffnet und wieder schließt, bevor ein trippelndes Fräuleinwunder mit den aufgeregten Allüren einer Produktionspraktikantin und ein Mann mit dem Anspruch zu wissen, was hier gespielt werden soll, sich verkrampft unter eigenem Bedeutungsmüll begräbt, entreißt eine androgyne Person, deren Brüste mit schwarzem Klebeband neutralisiert sind, einer zufällig anwesenden E-Gitarre ein paar Töne, bevor sich der Sound verselbständigen wird.

„March“ heißt die Arbeit von Jelena Kostić, die zur Halbzeit der Leipziger Tanzinitiative präsentiert wird. „March“ bezieht sich auf Erinnerungen der Choreografin an den Aufstand gegen das Belgrader Regime im März 1991 in ihrer serbischen Heimat. So wie die Erinnerungen die Lebensgeschichten der Künstlerin durchziehen, so präsentiert sie uns in ihrer Arbeit mehr oder weniger deutbare Erinnerungsfetzen aus Klang und Krach, aus Tanz und Erstarrung, aus Brutalität und Zärtlichkeit, aus Ohnmacht und diffusem Widerstand.

Man mag bei manchen Szenen an Gewalt und Folter denken, man mag an Wahn und Selbstverstümmelung denken, an Freudentaumel und bittere Enttäuschung. Wenn die tanzenden Performer Gasmasken tragen oder wenn ein Megafon benutzt wird, dann sind die Zeichen sehr direkt, andere bleiben weniger deutbar. Birst etwa den Handelnden bei so vielen Erinnerungen der Kopf wie im Bild der Berg unter dem hämmernden Donner des verzweifelten jungen Mannes am Schlagzeug? Wir erleben so etwas wie taumelnden Siegestanz, in dem drei Tänzer sich in wüsten Sprüngen und kraftvollen, rollenden Bewegungen am Boden ausgelassen und sportiv gebärden. Wir erleben dann aber auch statisches Verharren, krampfartige Bewegungen, schmerzverzerrt. Es geht um Nazis, Faschisten und Hausfrauen, um Krampf und Kampf, um Widerstand und Wartestand. Viel Gewalt, viel Schweiß und Reste auch von Zärtlichkeit. Im Programmzettel heißt es, die Choreografie von Jelena Kostić solle das internationale Publikum dazu bringen, sich selbst zu hinterfragen. Zunächst aber stellt die Präsentation wahrscheinlich zu viele Fragen, lässt zu viele Fetzen von Geschichten mehr oder weniger flüchtig herein wehen, die Kraft und die Lust, darüber hinaus auch noch sich selbst zu befragen nehmen ab und verflüchtigen sich.

Dass der Fokus dieser Arbeit nicht so sehr auf tänzerischer und ästhetischer Perfektion liege lässt die Choreografin vorauseilend mitteilen, dass sie und ihre Tänzerinnen und Tänzer ganz sicher durch einen harten Prozess der Auseinandersetzung mit den Geschichten ihrer Erinnerungen gegangen sind und sicher bei jeder Aufführung wieder gehen, ist unbestreitbar. Allein uns davon mit den Chancen des Tanzes etwas mehr mitzuteilen, das ist leider noch nicht so recht gelungen.

 

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