Russische Tanzmoderne schmeckt nicht jedem

Meilensteine der Tanzhistorie enttäuschen bei den Salzburger Pfingstfestspielen

Wie die Mariinski-Tänzer in „Le sacre du printemps“ selbst zu Opfern wurden.

Salzburg, 22/05/2013

Jeder Choreograf, der etwas auf sich hält, versuchte sich − mal mehr (Pina Bausch), mal weniger gelungen (Mats Ek) − an „Le sacre du printemps“. Anlässlich des 100jährigen Jubiläums des am meisten (neu-)interpretierten Ballettklassikers der Moderne nehmen sich Magazine, Symposien und Spielpläne dem Ballet Russes Werk an. Die Salzburger Festspiele stellten ihr Pfingstprogramms gänzlich unter das Motto „Frühlingsopfer“, ließen in Begleitausstellungen und -gesprächen nach religiösen, gesellschaftlichen, musikalischen Opfern fragen.

Dementsprechend durfte man sich auf das namensgebende Tanzstück freuen. Das gefühlt halbe Mariinski-Theater – Küntlerischer Leiter, Direktor und Chef-Dirigent Valery Gergiev samt Chor, Orchester und Tanzensemble − hatte man nach Österreich chauffiert. Auch durfte man ‘der sacre’ in der Originalfassung, d.h. in der Rekonstruktion von Millicent Hodson und Kenneth Archer, die auf jahrelange detailreiche Detektivarbeit beruhte, nun live auf der Bühne sehen!

Bewusst entschieden sich die Salzburger Festspielleiter gegen einen chronologischen Programmablauf: Als Appetizer sollte Bronislava Nijinskas „Les Noces“ (1923) Lust auf den Hauptgang, „Le sacre du printemps“ (1913), machen. Als sahnig-süßes Dessert dann das Zaubermärchen „Der Feuervogel“ (1910) von Michel Fokine.

Und dann das: Mit geringem Interesse verfolgte das Publikum das Geschehen des selten aufgeführten „Les Noces“-Stücks auf der Bühne des großen Festspielhauses. Nijinska stilisierte Bilder einer russischen Hochzeitsfeier, lenkt den Blick von dem Brautpaar weg auf den es umgebenden Chor und setzt ritualhaft den äußeren Handlungsverlauf der privaten wie gesellschaftlich so einschneidenden Verheiratung zweier Liebenden in eine formenreiche, geometrische Muster imitierende Choreografie um. Die zum Teil sehr jungen Tänzer des Mariinski-Corps de Ballets wirkten auf der Bühne des Festspielhauses beinah verloren. „Les Noces“, in Sachen Avantgarde quasi das weibliche Pendant zum vielumjubelten Nijinsky-Klassiker erntete Buh-Rufe, kaum dass der Vorhang fiel.

Auch „Le sacre du printemps“, das in der Weltpremiere 1913 das Pariser Publikum derart durcheinander brachte, dass die Polizei einschreiten musste, erschütterte in Salzburg kaum. Derart weichgespült und mit klanglichen Eigenheiten versehen ließ Gergiev Strawinskys Noten runterspielen. Das ist schade, wusste man doch spätestens (wieder) seit Xavier Le Roys Interpretation (2007) von der orgastischen Gewalt des „Sacres". Die jungen Hascherl auf der Bühne dagegen, in den reichgeschmückten Folklore-Kostümen von Bühnen- und Kostümbildner Nikolas Roerich, schienen Opfer ihrer eigenen Aufführung zu werden. Schlampig und fehlerhaft tanzte das St. Petersburger Corps de Ballet, wo doch gerade in jenen Strawinsky Balletten das Corps de Ballet große Verantwortung trägt. Besser gelang es der Solistin Daria Pavlenko als auserwählte Jungfrau die Nerven zu bewahren. Es konnte einem schon Mitleid mit den Darstellern überkommen − oder man nickte, wie manch Zuschauer, pardon Zuhörer, ein.

Nach dem Power-Nap und der Sehen- und Gesehen-werden-Pause fährt man wiederum mit Verzögerung im Programm fort, so dass die Veranstaltung über eine halbe Stunde später endete als geplant. War man ob der Einweihung des bis dato teuersten Opernhauses der Welt in St. Petersburg der Salzburger Bühne überdrüssig geworden? Gab es Verständigungsprobleme hinter der Bühne? Wollte die B-Besetzung noch ein wenig üben? Spekulationen darüber wie auch tanzhistorische Lücken im Programmheft blieben offen.

In „L'Oiseau de feu“ (Der Feuervogel) gewinnt das Gute, Held Iwan mit Hilfe des Feuervogels, gegen das Böse. Ein leicht verständlicher und dank der üppig-ornamentalen Bühnenbilder und Kostümen nach Originalentwürfen von Alexander Golovin, Léon Bakst und Michel Fokine kitschiger Stoff, der viel zu überschwängliche Begeisterungsstürme bei den Zuschauern auslöste. Besonders dankte das Salzburger Publikum dem 60-jährigen Gergiev, der ab 2015 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker wird. Wie gut, dass er sich dann wohl nur noch auf die Musik konzentriert.
 

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